Um das reichhaltige Sortiment eines gut geführten Sanitätshauses habe ich mich bisher nur wenig gekümmert. Stützmieder, Inkontinenzwäsche, Fersenkeile und Hüftprotektoren waren mir relativ egal. Ich kannte kaum die Namen dieser sicher hilfreichen medizinischen Spezialartikel. Doch neuerdings bin ich Besitzer einer „Abdominal Bandage“, Farbcode weiß, Größe L, Maße 95 bis 105 Zentimeter. Optimal, so steht auf der Verpackung, sei „die Anpassung der Kompression an die therapeutischen Erfordernisse“.
Haben Sie verstanden? Nein? Dann will ich’s Ihnen therapeutisch angepasst erklären: Ich trag’ jetzt einen Stützverband. Um die Brust. Hilft bei Rippenbruch. Es soll ja Männer geben, die noch heute jener Rippe nachtrauern, die Adam hergeben musste, damit daraus Eva wurde. Aber das führt zu weit. Auch will ich, liebe Leserinnen und Leser, nicht um Ihr Bedauern buhlen. So schlecht geht es mir nicht, auch wenn ich beim Radfahren gestürzt bin, zwei Rippen gebrochen habe und nun im Sommer so ein dickes Bandage-Dingens trage. Ruhe! Das Gejammer eines Kranken kann nerven. Da nehme ich mir meinen Orthopäden zum Vorbild.
Der Mediziner mit Gemeinschaftspraxis in Leinfelden hat selbst drei Rippen gebrochen. Aber das wäre nicht so schlimm. Was ihm Anfang Juli widerfahren ist, stand bundesweit in den Zeitungen. „Attacke auf Arzt: Patient in U-Haft“, so berichtete unser Blatt. Ein 62-Jähriger hatte den 48-jährigen Mediziner mit der neun Zentimeter langen Klinge eines Messers lebensgefährlich verletzt.
Wie krank ist unser Land? Immer öfter ist von Angriffen auf Ärzte zu lesen. Dabei geht es keineswegs um die Rache für Kunstfehler. Bei meinem Orthopäden sowieso nicht. Wer will etwas gegen diesen gut gelaunten, humorvollen und fachlich so ausgezeichneten Mann haben? Vor drei Jahren hat er mein Knie mit positivem Ausgang operiert. Als ich im OP-Saal kurz vor der Narkose lag, machte er noch seine Späße. Mein Knie, musste ich mir anhören, sehe von innen 20 Jahre älter aus als mein Rest. Und die Kollegen setzte er warnend von meinem ausgeübten Beruf in Kenntnis. Man müsse sich anstrengen, um keine schlechte Presse zu haben. Und dann war ich weggespritzt. Bis heute musste ich keinen Verriss schreiben.
Überrascht war ich, als ich ihn nun nach meinem Sturz bei der Arbeit vorfand. Warum er sich nicht in der Kur befände, fragte ich ihn. Seine Antwort: Da wäre ihm die Decke auf den Kopf gefallen. Die Heilung ist seine Profession, keine Frage. Der Täter habe lediglich zehn Minuten warten müssen, dann randaliert. Als er trotz Hausverbots Stunden später wiederkam, stach er mit dem Messer auf den hochgewachsenen Orthopäden ein, der trotz seiner Verletzung den Täter auf den Boden warf („Man hat so viel Adrenalin und spürt in diesem Moment die Schmerzen nicht“), unterstützt von seinem Arztkollegen und einem Patienten.
Wir sprachen über eine Gesellschaft, die so viele psychisch kranke Gewalttäter hervorbringt und über die Methoden der Boulevard-Presse. Den Nachbarn habe man hundert Euro geboten, um von deren Balkon fotografieren zu können. Das Krankheitsbild meines Lieblingsorthopäden ließ ich mir erklären und war froh, dass er einen so guten Schutzengel hatte.
 
Natürlich verrate ich von unserem Gespräch nicht alles. Vieles fällt unter die Schweigepflicht des Patienten. Im Namen seiner Praxis-Mitarbeiter, seiner zufriedenen Patienten und vielen Zeitungsleser muss ich eines aber loswerden: Wie schön, dass Sie diesen Angriff so gut überstanden haben! Heilen Sie weiter mit Humor!
 
 

   
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