Momente, die dem Leben Sinn geben: Der Fußballprofi Kevin Kuranyi und der Favela-Musiker Börni Weber, die seit gemeinsamen Stuttgarter Tagen dicke Freunde sind, retteten in Rio einer Frau im Meer das Leben.
Was wohl hatte Kevin Kuranyi, 32, seit Sommer 2010 Stürmer bei Dynamo Moskau, um die Schulter hängen, als er in der WM-Stadt unterm Zuckerhut seinen alten Kumpel Börni Weber, 44, zur Begrüßung in die Arme fiel? Die Tasche der deutschen Nationalmannschaft!
Die Hoffnung auf ein Comeback in der DFB-Elf hat der Deutsch-Brasilianer nicht aufgegeben. Börni, der Ende 2002 der Liebe wegen nach Südamerika zog und als Favela-Musiker MC Gringo auch in internationalen Medien für Aufsehen sorgt, sieht Kevins Platz ganz klar in Löws Team. Fast sechs Jahre liegt die „Stadionflucht“ des in Rio geborenen und einst in Stuttgart lebenden Fußballprofis zurück – mit dem anschließenden Rauswurf aus der Mannschaft. Längst hat der 58-fache Nationalspieler Fehler eingeräumt. Trotzdem gab es kein Zurück. „Das ist unglaublich, wie Deutsche einfach nicht verzeihen können“, schreibt mir Börni Weber im Facebook-Chat aus dem 40 Grad warmen Rio, „diese Sturheit der Deutschen, dieses Endgültige wird einem, aus der Ferne betrachtet, noch viel deutlicher.“
Kevin und Börni sind seit 14 Jahren dicke Freunde. In Tübingen hatten sie bei einem Fest von Stuttgarter Brasilianern zusammen gejammt – Kevin an den Percussions, Börni an der Gitarre. Regelmäßig besucht der Kicker den Kumpel. Umgekehrt ist’s schwierig. Der Stuttgarter führt in Rio als Musiker und Reiseführer einen Überlebenskampf. Mit seiner Frau und zwei Kindern lebt er im höchsten Haus der Favelas. Mitunter war das Geld so knapp, dass Lebensmittel rationiert werden mussten. Da bleibt nichts übrig für einen Flug zu Kevin nach Moskau oder zu den alten Freunden nach Stuttgart.
Aber dank Internet ist die Verbindung schnell und kurz. Vor vielen Jahren war Börni Praktikant der Stuttgarter Nachrichten. Aufmerksam verfolgt der 44-Jährige, was in der Heimat geschieht und stellt mir immer wieder Fragen dazu. Wir chatten oft. „Gestern wär eine ältere Dame afrikanischer Abstammung fast abgesoffen im Meer“, schrieb er jüngst, „Kevin und ich waren die einzigen im Wasser in der Nähe und haben ihr rausgeholfen.“ An diesem Tag gab es Sandbänke – da hatte sich die ältere Dame verschätzt. „Du gehst einen Schritt weiter und bist einen Meter tiefer im Wasser.“ Jeder habe sich auf einer Seite bei ihr eingehakt . Für Börni war’s ein „schöner und doch irgendwie bizarrer Moment.“ Ein Moment, der ihm klar machte, auf was es ankommt: „Für solche Momente ist man eigentlich wirklich auf der Welt. Kevin ist so ein Glückspilz, der oft am richtigen Ort steht. Auf dem Platz und auch außerhalb.“
Sind die Favelas der richtige Ort für den Schwaben? Oft, schreibt er, träumt er davon, wie er in den Stuttgarter Wäldern mit dem Fahrrad rumdüse: „Selbst im Traum kenn ich noch jeden Meter hoch bis zum Bärenschlössle“. Jetzt muss er den steilen Hügel erklimmen, um seine Tochter auf der Schulter nach Hause zu bringen. Die Sicht ist gigantisch. „Du wohnst also in bester Halbhöhenlage, Killesberg-Niveau“, schrieb ich. Prompt korrigierte er mich: „Das ist Höhenlage, nicht Halbhöhenlage.“ Er hat mir einen Film geschickt, der das eindrucksvoll zeigt: Hier geht’s zu dem Film.
Gerade sucht er Sponsoren, die auf dem oberen Teil der Favela eine Plattform finanzieren helfen, wo Kinder singen und tanzen können. Touristen führt er mit favelafriends hoch hinauf, wo sie die besten Bilder machen und das Leben im vom Drogenhandel befreiten Teil des Armenviertels kennen lernen können. Das obere Foto zeigt holländische Touristen mit Börni an der Gitarre.
Im Februar werden deutsche TV-Zuschauer bei „Germanys Next Topmodel“ sehen, wie Börni die Kandidatin Gisele Opermann, eine halbe Brasilianerin und große Heulsuse, mit einer Favela-Tour bändigt. Im brasilanischen Fernsehen wiederum sagte Kevin Kuranyi, dass er ein großer Fan von MC Gringo sei.
Wer so gute Freunde hat, zählt zu den Glückspilzen des Lebens.