Heidemarie A. Hechtel schreibt über das Buch „Buntes Stuttgart“ in der StZ und in den StN
Fotograf Wilhelm Betz und Autor Uwe Bogen haben 52 Menschen der Regenbogen-Community porträtiert. Dies ist im Stadtpalais groß gefeiert worden. Das Buch soll Mut machen und zu noch mehr Respekt und Wertschätzung verhelfen.
tuttgart ist bunt. Die Regenbogenfahne flattert seit einer Woche fröhlich vom Rathaus, und der Hausherr, OB Frank Nopper (CDU), will mit diesem Farbenbekenntnis den „Geist der Harmonie und der Solidarität in unserer Stadt“ stärken. Laura Halding-Hoppenheit, Wirtin, Stadträtin und King’s-Club-Legende, ist „stolz, dass über Stuttgart die Regenbogenfarben leuchten“. Stimmt die queere Community in Stuttgart in diesen Jubel ein? Nicht ganz, kann man schon mal verraten. Der Fotograf Wilhelm Betz hat 52 Charakterköpfe der LSBTTIQ-Szene vor die Kamera geholt und mit Empathie abgelichtet. Gesichter, von denen jedes seine eigene Geschichte hat, die der Autor Uwe Bogen, Redakteur und Kolumnist von Stuttgarter Nachrichten und Stuttgarter Zeitung, einfühlsam erfragt und pointiert beigesteuert hat. Entstanden ist daraus das Buch „Buntes Stuttgart“, mit dem das bewährte Duo zum vierten Mal Stuttgarter Charakterköpfe porträtiert.
Vielschichtige und diverse Szene
Ein heißes Event mit Showprogramm am heißesten Tag des Jahres, bei dem auch OB-Ehefrau Gudrun Nopper dabei ist, obwohl sie nach einem Beinbruch auf Gehhilfen angewiesen ist: Denn alle, die sich als Charakterköpfe der Kamera und den Fragen „offen und inspirierend“, so Bogen, gestellt haben, erscheinen in voller Gestalt, als im Stadtpalais die Ausstellung der Fotografien von Wilhelm Betz eröffnet und gleichzeitig das Buch „Buntes Stuttgart“ präsentiert wird. So voll, unten wie auf der Empore oben, sei es an diesem Ort bei einer Veranstaltung seit den Fantas nicht mehr gewesen, hört man. Zu den 52 aus dem Buch sind ihre Freunde, ihre Familien gekommen, Kulturtreibende, Balletttanzende, Menschen aus Management und Wirtschaft, die beweisen, wie vielschichtig und divers die Szene ist. Herausragend, allein durch die Größe mit Perückenaufbau und High Heels: Frl. Wommy Wonder (alias Michael Panzer), die „Travestie-Lady“, die Stuttgart „liebenswert, grad heraus und ehrlich“ findet, das miese Image der Stadt für überholt hält, aber trotzdem auf Vorurteile stoße: „Unsereinen holt man sich selten in die Wohnung.“ Grund genug, in ihrer Performance ein bisschen zu ätzen: „Wie haben wir das verdient, dass man uns nun sogar Charakter bescheinigt?“
George Bailey kämpft wegen seiner Hautfarbe mit Vorurteilen
Oder George Bailey, der vor 50 Jahren Ballettchef John Cranko und 41 Jahre lang als Pianist und Korrepetitor das ganze Ballett bezaubert hat. Mit Vorurteilen habe er dennoch zu kämpfen: nicht, weil er schwul sei, „weil ich farbig bin“. Traurig und eigentlich kaum zu fassen. Selbstverständlich in Leder, wie auch sonst, erscheint Marcus Kapp, der Mr. Leather Baden-Württemberg, der „dumme Sprüche und Pöbeleien selbstbewusst“ ablaufen lässt und sich dennoch „mehr Toleranz, Ehrlichkeit und Respekt wünscht“.
Genau das ist es, was Betz und Bogen mit ihren Porträts erreichen wollen: „allen Queeren und ihren Organisationen zu noch mehr Respekt und Wertschätzung zu verhelfen.“ Es sind alle Facetten der LSBTTIQ-Szene (lesbisch, schwul, bisexuell, transgender, transsexuell, intersexuell und queer), die hier nicht mehr nur Schlagworte oder Klischees sind, sondern ganz individuell mit Leben und Persönlichkeiten erfüllt werden. Bei den faszinierenden Dragqueens Sir, Emily Island und Divalicious ebenso wie bei Katharina Binder, Sozialplanerin, die mit ihrer Frau und zwei Kindern in einer Regenbogenfamilie lebt, bei Sven Tomschin, der mit seinem Mann Felix und der Single-Frau Christine Teil von „Dreieltern“ von Josha ist, oder der Projektmanagerin Tanja Gemeinhart, der es „Kraft, Halt und Zuversicht gibt, Teil einer Gemeinschaft, nämlich der queeren Community, zu sein“.
Es brauche dringend ein Regenbogenhaus
Dieses Buch soll Mut machen, wünschen sich Betz und Bogen. Detlef Raasch, Aktivist und ehrenamtlicher Sprecher des CSD, fehlt es daran nicht: Stuttgart, stellt er fest, sei zwar gut aufgestellt, was Buntheit betrifft, aber noch nicht am Ziel. Denn es brauche dringend ein Regenbogenhaus. Zwei Bücher mit Autogrammen aller Porträtierten erzielen bei einer Charity-Versteigerung je 1000 Euro, die der Olgäle-Stiftung und den Kindern der Regenbogenfamilien zugutekommen. Im Buchhandel kostet es 34 Euro. Die Ausstellung geht bis zum 27. Juli.