Manche mögen’s warm. Bei Männern gilt die Indoor-Mütze als Modetrend des Winters. Doch darf man sie auch in Restaurants, Büros und bei Partys tragen?
Neulich bei der Geburtstagsfeier eines Freundes. Der Hausherr trug eine Schürze überm weißen Hemd, während er seine Rote-Bete-Suppe in einem traumhaft leuchtenden Farbton servierte. Ein verspätet eingetroffener Gast ließ am Esstisch seine Wollmütze auf. „Hier schneit’s nicht rein“, belehrte ihn die Rothaarige von der Gegenseite. Vor wenigen Tagen hatte sie einen Benimmkurs ihres Arbeitgebers besucht, wie sie uns kurz zuvor ausführlich schildern wollte. „Wahrscheinlich hat er heute seinen Bad Hair Day“, vermutete der Gastgeber mitfühlend. Ihm war entgangen, dass in Castingshows und selbst in Hollywood mit Vorbild Ashton Kutcher (Foto) die Mütze auch drinnen zum Dauerbegleiter von Männern geworden ist wie zuvor bereits der Schal. Nicht nur bei Glatzenträgern und Ex-Männern von Demi Moore soll dies so sein. Früher waren’s nur Donauwellen-mampfende Omas, die im Café die Häkelmütze aufbehielten, um ihre Dauerwellen nicht zu ruinieren.
Meine Mütze hing draußen am Garderobenhaken. „Guten Appetit“, wünschte ich. „Sagt man nicht mehr“, wies mich die Benimmkurslerin zurecht. „Wer sagt das?“, fragte ich. „Knigge“, lautete ihre Antwort. Dann trumpfte ich auf: „Herr Knigge ist schon lange tot.“
Die Rothaarige war bereit, ihr wertvolles Knigge-Wissen mit mir zu teilen. Bei Geschäftsessen, erfuhr ich nun, werde auf den Guten-Appetit-Wunsch verzichtet, weil man wortlos mit dem Essen beginne, sobald der Einladende zur Gabel greift. Man sage auch nicht „Gesundheit“, wenn jemand niese, um dieses „Hatschi“ als unerheblichen Zwischenfall zu ignorieren. „Trend wird nur, was Regeln bricht“, dozierte der bemützte Ashton Kutcher meines Bekanntenkreises. Es entspann sich eine Diskussion über gutes Benehmen, cooles Auftreten und das Fehlen von Vorbildern. Die moralische Strahlkraft höchster Ämter sei in Deutschland endgültig erloschen, war zu hören. Manchmal bräuchten gerade staatstragende Runden etwas Witz, meinte einer. Kürzlich habe er in einem piekfeinen Restaurant gegessen. Da habe der Ober gefragt, ob es geschmeckt habe, worauf seine schwäbische Begleiterin mit gespielter Wut giftete: „Der Hunger treibt’s nei, der Ekel treibt’s ra, und der Geiz hält’s unta.“ Der zuvor eher steif wirkende Ober musste prusten vor Lachen. Muss ein wunderschöner, genussreicher Abend geworden sein.
Die Rote-Bete-Suppe war ebenfalls ein Hit. Kaum hatte der Hausherr die Schürze abgelegt, fiel sein Löffel in den Teller – und ein schöner roter Betenspritzer klatschte auf sein weißes Hemd. Unser Mitleid war ihm sicher. Was tun? Salz drauf wie bei Rotwein? Selbst unsere Benimmkursbesucherin blieb stumm. Das stand wohl nicht im Einmaleins der Etikette. Die wirklich wichtigen Dingen im Leben lernt man nicht in dem Gute-Manieren-Lehrgang. Der Mützenmann zückte sein Smartphone. „Da hilft nur www.frag-mutti.de„, sagte er. Längst weiß Muttis Internetseite mit Haushalts- und Benimmtipps weitaus mehr als der alte tote Knigge. Bei frag-mutti.de steht, recherchierte unser schlauer Freund mit dem Wolltoupet auf der Birne, dass man gegen Rote-Bete-Flecken Mineralwasser nehmen sollte. Der Gastgeber hatte das weiße Hemd bereits ausgezogen, und wir wollten ihm von allen Seiten unseren Sprudel spenden. „Heutzutage muss keiner selbst was wissen“, resümierte unser Mützenfreund, „man muss nur googlen können.“ Na bitte! Ein wenig Grütze unter der Mütze ist Spitze. Auch indoor empfehlenswert.