Die E-Mail-Post hat eine besonders exklusive Einladung gebracht. „KARL KOMMT ZU BREUNINGER“, steht in Versalien ganz groß obendrüber. Rechts daneben befindet sich ein Foto des Designers. Am 28. Februar sei es „endlich soweit“, verrät das Anschreiben. Super! Ein Weltereignis! Um die Wartezeit zu verkürzen, sollten wir uns bei Youtube ein Video anschauen. Rasch klicke ich drauf, sehe gelangweilte Models in Unterwäsche und mit leeren Kleiderbügeln, die erwartungsfroh zur Tür springen, kaum, dass sie ein Aufzugsgeräusch hören. „Karl?“, rufen sie, als nahe ihr Retter. Schnitt, Schluss, eine Schrift wird eingeblendet: „Das Warten lohnt sich.“
Bis nächsten Dienstag, 28. Februar, sollen wir noch warten. Dann KOMMT KARL. In der Einladung steht keine Uhrzeit, auch kein Ort, wo genau sich der Meister mit dem Image der undurchschaubaren Mode-Ikone zu jenem Stuttgarter Traditionsunternehmen begibt, das er vor wenigen Wochen nicht mal kannte. Sein Unwissen, auf dem „Wetten, dass…?“-Sofa von Thomas Gottschalk hinausposaunt, ließ die Menschheit rätseln. War sein Breuninger-Blackout ein verwegener PR-Trick, ein abgekartestes Spiel, um die neue Modelinie mit dem Namen KARL, in Deutschland von Breuninger exklusiv vertrieben, noch bekannter zu machen? Oder war’s nur ein Zeichen von beginnender Altersdemenez? Ein Mann, der so viel macht wie der 1933 geborene Workoholic, kann schon mal durcheinander kommen. Jetzt macht er auch noch auf billig, oder sagen wir, auf günstig. Preislich ist seine neue Linie, in der es neben schwarzen Kleidern mit tiefen Rückenausschnitten auch silberfarbene Jeans, fingerlose Handschuhe und abnehmbare Krägen gibt, niedriger als Lagerfelds Premium-Linie angesiedelt (nämlich zwischen 60 und 300 Euro), weshalb sie auch als „Masstige“ bezeichnet wird – eine Wortschöpfung aus Masse und Prestige.
Masse und Prestige, wie schön demokratisch, schließen sich nicht mehr aus. Jeder ist elitär. Wer so viele Menschen kennt wie Monsieur Masstige, kommt schon mal durcheinander. Über Heidi Klum sagte Lagerfeld: „Die war nie in Paris. Die kennen wir nicht.“ Als eine Reporterin in Düsseldorf von ihm wissen wollte, ob er „bad hair days“ kenne, fragte er zurück: „Wer ist die Dame denn?“ Breuninger war auch nie in Paris. Wieso sollte er das Modehaus kennen? Bei uns Stuttgartern ist das völlig anders. Wir sind mit Breuninger und dem Breunibär groß geworden. Als Kind verbrachte ich viele Stunden im dortigen Kindergarten, um die Eltern nicht beim Shoppen zu stören. Unvergessen sind die Tiere in der Zooabteilung (wenn ich mich richtig erinnere, gab es damals sogar Hunde, aber auf jeden Fall Affen), mein erster Haarschnitt von Breuninger und das Kaufhausschwimmbad.
Und jetzt KOMMT KARL ZU BREUNINGER. Um die Einzelheiten zu erfahren, die mir die Einladung vorenthält, rufe ich in der Pressestelle von Breuninger an. „Wann kommt er genau?“, will ich wissen, „wann dürfen wir ihn fotografieren und interviewen?“ Die Dame am Telefon sagt zunächst gar nichts. Es ist, als lache sie ein wenig. „Aber nein“, antwortet sie schließlich. Ist wieder jemand darauf reingefallen! Aber nein, Karl Lagerfeld komme gar nicht, sondern KARL, die Kollektion. Die Einladung habe man mit Absicht ein wenig zweideutig forumliuert, um Interesse zu wecken.
Wie raffiniert! Weiß Herr Lagerfeld, wie raffiniert die Leute von Breuninger sind, die er deshalb unbedingt persönlich beehren sollte? Wie sehr habe ich mich darauf gefreut, ihn zu treffen. So schön hab‘ ich’s mir ausgemalt. Ich wäre auf den Herren mit dem weißgepuderten Zopf zugegangen und hätte laut gesagt: „Lagerfeld? Den kennen wir nicht.“