Aus der Fassade der automobilen Kultstätte schälen sich links oben zwei riesige Augen heraus. The Museum Is Watching You! Diese Augen schauen nach links, nach rechts, nach unten – und uns dann mitten ins Gesicht. Na ja, das meinen wir nur. Wer heutzutage etwas Wichtiges live miterlebt, scheut den direkten Blick. Es ist immer noch was zwischen uns und dem großen Ereignis. Da ist immer noch das Smartphone mit seiner Kamerafunktion. Wir müssen alles einfangen. Vor dem Mercedes-Benz-Museum, auf dem sich Videokünstler Markos Aristides Kern zur Musik der Turntablerockers in einem Rausch der Farben und Fantasien austobt, halten in dieser Nacht Hunderte ihr Smartphone hoch. Seitdem laufen bei You Tube etliche kleine Filme davon. Stichwort „Ultrabook 3-D-Tour Mercedes-Benz-Museum“. Die Kommentare, die man dazu lesen kann: „Wow“, „Hammer“, „Cool“, „Wahnsinn“.

Wenn früher eine Discothek eröffnete und deshalb einen Laserstrahl gen Himmel richten ließ, konnte es sein, dass bei der Polizei besorgte Anrufe eingingen. Sind da Marsmännchen im Anflug? Wo will das Ufo hin? Heutzutage reicht ein Laserstrahl nicht mehr aus. Da feuern 24 Lichtkanonen ihre zuvor am Computer exakt berechneten Farbspiele auf Fassaden ab, auf dass man sich in der Ferne nur kurz wundert: Brennt das Museum? Fallen da alle Steine in sich zusammen? Aber nein, da ist ein Lichtkünstler am Werk. Das ist schöner als jedes Silvesterfeuerwerk, gigantischer als die bisher beste Bühnenshow von Madonna.

„Alles ist bespielbar“, sagt Markos Aristides Kern, „überall auf der Welt lassen sich Bilderwelten öffnen.“ Vor Jahren kaufte sich der Münchner einen alten Bundeswehr-Raketenwerfer und rüstete ihn zu einem „Multi Media Offroad Vehicle“ um. Damit ist er schon in die Wüste gereist, ließ den Sand aufleuchten. Eine Fata Morgana entsteht, wenn heiße Luft auf kalte stößt. Der frühere Philosophie-Student macht keine heiße Luft, er braucht nur einen guten Rechner. Im Dienst eines Computerherstellers reist er gerade mit seiner Lichtshow durch Deutschland, um markante Häuser stets individuell zu bespielen. Das Mercedes-Benz-Museum mit seinen riesigen Fensterfronten stellt ihn vor eine besondere Aufgabe.

Raffiniert hat er die Glasflächen, auf denen er nichts projizieren kann, in seine Auto-Show miteingebaut. Autos rasen umher, Hunderte von Bällen kugeln um die Fassade, Steine brechen nach außen, bis alles zusammenkracht. Irgendwann erscheinen die großen Augen links oben auf der Fassade, um uns zu verklickern: Keiner sollten seinen Augen trauen. Nur wenig ist so, wie es scheint. Fantasie und Realität lassen sich oft schwer auseinanderhalten. Lichtkünstler Kern, der vor wenigen Tagen 30 Jahre alt geworden ist, hat sich bei seinem Stuttgart-Besuch selbst fotografriert – in einer Glaskugel, die ein Spiegelbild noch runder macht. „Ich könnte schwören, dass ich vor der 30 schlanker aussah“, hat er zu diesem Foto bei Facebook gepostet. Augen auf! Doch das bringt nicht immer was, weil Augen nicht alles durchschauen. Das Bild, das wir zu sehen meinen, kann trügerisch sein. Manchmal sind optische Illusionen auch nichts anderes als verlorene Träume.

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