Wie lange ist früher her? Ein Stuttgart-rockt-Roman putzt die Vergangenheit durch.
„Uwe Geiger“ – keine Ahnung, ob es diesen Typen gibt. Sein Name steht als Signatur vorn in dem Buch, das den Titel „autoreverse“ trägt und das mir der Autor geschenkt hat. Das Wort „autoreverse“ hat nichts mit Auto oder Autor zu tun. Die Jüngeren könnten dieses englische Wort missverstehen. Wer dagegen in den 1980ern aufgewachsen ist – genau in dieser Zeit spielt der eben erschienene Roman – kann’s im Schlaf übersetzen: Automatische Richtungsumkehr. Das Lexikon erklärt es noch genauer: „autoreverse ist eine Betriebsart von Bandlaufwerken und Casettenrekorder, bei der die Richtung des Bandlaufes am Bandende automatisch umgekehrt wird.“
Reverse, zurück zum Anfang, zurück zu diesem mysteriösen Uwe Geiger. Auf dem Cover wird als Autor Kai Thomas Geiger genannt. Genau der war’s, der für mich sein Werk mit „Uwe Geiger“ unterschrieben hat. Warum? Um das zu verstehen, muss man die schöne Geschichte kennen, die mir der 1966 geborene Werbetexter und Blogger im Café Kaiserbau am Marienplatz erzählt hat. Für einen Kunden arbeitete Geiger bei Werbeaufnahmen mit David Beckham. Klar, dass der Fußballfan den Fußballstar um ein Autogramm bat. Wie er heiße, fragte dieser. „Thomas“, lautete die Antwort. Daraufhin schrieb der Brite „Thomas Beckham“ auf eine Karte – ohne für oder for Thomas oder sonst was. Später erfuhr Geiger, dass dies Beckham oft so macht. Würde „For Thomas from Beckham“ auf der Karte stehen, könne man sie bei Ebay teuer versteigern. Doch „Thomas Beckham“ sei völlig wertlos. Beckham will nicht, dass andere mit seinem Namen Kohle machen.
In meinem Exemplar steht also „Uwe Geiger“ – wertlos erscheint es mir nicht. Gern hab ich das Buch gelesen. Zweieinhalb Jahre schrieb der Werbemann daran. Es war die Idee von Volker Hühn. Der Leiter des nicht mehr lange in Stuttgart beheimateten Theiss-Verlags (das Büro wird in Darmstadt eingemeindet) kennt Geiger aus gemeinsamen Jugendtagen. Ihm gefielen die Blogs des Schulfreunds in Kessel-tv. Deshalb ermunterte Hühn den Schreiber schneller Texte zur Langstrecke. Auch in dieser Disziplin bleibt sich Geiger treu. Der Roman erfreut mit Sätzen, die nicht viel Worte brauchen, um was auszurichten. Es geht um existenzielle Fragen eines Musikfans, der die Lebensmitte erreicht und feststellt, dass seine Mixtapes immer schneller laufen. Je älter man wird, desto rascher vergeht alles Schöne. Aus dem Paradies deiner Erinnerungen aber kann dich keiner vertreiben. Bisher spotteten wir über die Alt-68er. Langsam werden die 80er alt. Geiger stellt die Fragen der Alt-80er: „Wie lange ist früher her? Und was ist seitdem passiert? Weißt du noch, damals?“
Ja, wir wissen noch! Damals im Dieterle, im Soho, im Müsli, beim Konzert der Queen in der Böblinger Sporthalle. Geiger zählt zu den Fans der Geschichten und Bilder, die im Stuttgart-Album auf Facebook gepostet werden. Wer hat sich noch ohne Geld in Konzerte reingeschmuggelt? Man musste Stunden vor dem Aufbau kommen und sich auf dem Klo der Halle verstecken. Nicht auf dem Männerklo. Da würden die Roadies mal rein müssen. Man schloss sich in den Damenkabinen ein, bis Einlass war.
Es geht ums Erwachen der Leidenschaft für Musik, also auch um pubertäre Nöte. Der Romanheld Marc hat noch keinen Sex, aber der Basti schon. Basti nimmt beim Sex mit dem Kassettenrekorder die Stöhnlaute seiner Freundin auf und spielt sie den Kumpels vor. Eine dicke Freundin, erzählen sich die Jungs, ist gar nicht so übel. Wenn man nach dem Sex auf ihr einschläft, „liegt man wie auf einem Wasserbett“. Lustige Geschichten erwarten uns bei der Buchpräsentation am 24. April, 21 Uhr, im Wilhelmspalais, die mit den „Monsters of Book“ (Blogfoto ganz oben) mehr „Party als Lesung“ werden soll.
War früher wirklich alles geiler? Auch wenn man noch mehr Bücher darüber schreibt, bleibt’s eine Illusion. Denn nur eines ist klar: Früher war es noch nicht zu spät.