Es ist nicht das, wonach es aussieht. Nein, wir sind nicht beim   Tischtennis-Massen-Match. Die roten, runden Dinger, die fast alle  Gäste mit der   Linken oder Rechten schwingen,  sind keine Pingpong-Schläger.    Wer  damit hin- und herwedelt, erzeugt  für sich selbst ein Lüftchen.  So gut ist Travestie-Lady  Frl. Wommy Wonder zu ihrem Publikum. An allen Tischen im  Theaterhauszelt  liegen aufklappbare Handfächer.

 Die Nacht mit dem Weit-über-zwei-Meter-Fräulein kann also heiß werden.

 

Für alle Zeltbesucher gibt's rote Handfächer bei Wommy.

Für alle Zeltbesucher gibt’s rote Handfächer bei Wommy.

Es ist   die  erste Premiere des schwäbischen Travestie-Stars im Zelt. In den 29 Jahren, in denen  der studierte Theologe Michael Panzer mit üppigen Rundungen und in Polyesterglitzerkleidern auftritt, hat er  schon viele Bühnen erkundet. Ein Viermaster war bisher nicht dabei. Als Wommy gerät der 45-jährige Albsohn  nun ins Schwärmen. „Für mich haben schon viele Männer ganze Familien verlassen“, bemerkt die goldene Stimme vom Pragsattel, „aber noch nie haben Männer wie die vom Theaterhaus für mich ein Zelt aufgebaut.“

Reichen die Säle im Theaterhaus nicht mehr aus? Ist im Sommer so viel los, dass noch eine weitere  Bühne her muss? Werner Schretzmeier, Chef  des Theaterhauses, will mit seiner Idee, das mit rotem Teppich ausgelegte Zelt vom Zirkus Bonanza fürs Fräulein zu nutzen,  nicht nur sieben Wochen lang (solange gastiert die „Wonderbar 2.0“) lustige Abende ermöglichen. Der Mann liebt Experimente. Schon in jungen Jahren, als es das Theaterhaus am Pragsattel noch gar nicht gab,  hat er ein  Zelt   wie eine Wanderdüne durch Stuttgart bewegt – als „trojanisches Pferd“, wie mein  Kollege  Joe Bauer in den  1980ern    schrieb.   Erst mobil  unterwegs,  etwa im Park der Villa Berg mit der  Kleinen Tierschau, dann    plötzlich stationär in einer alten Fabrik gelandet.

 

Das neue Zelt hinterm Theaterhaus

Das neue Zelt hinterm Theaterhaus

Nun also testet Schretzmeier  mit dem Wommy-Zelt, wie  die neue Generation des Stuttgarter Publikums  auf zirzensische Bühnenformen   reagiert.  Nach der Premiere der Plastikperückenträgerin  lässt sich  festhalten: Die Idee des Intendanten ist aufgegangen. Das Publikum war begeistert. Manche meinten gar, Wommys Show sei in diesem Ambiente viel besser gewesen als  im vergangenen Sommer im großen Saal des Theaterhauses. „Was ist los mit Wommy?“, fragte  Dagmar Kötting,  die Sprecherin aus dem Off und Radiostimme  von Antenne 1.  „Es gab keine Pannen wie sonst bei Premieren.“  Die Travestieshow    in abgespeckter Form. Das Fräulein hat  28  Kilo  abgenommen  (Diät: kein Alkohol, kein Zucker, kein Salz) –  auch sonst ist das Programm  angenehm   gestrafft.  Der Einsatz des Regisseurs Ernst O. Ludwig hat sich gelohnt.  Bei der Premiere  gesehen: Neu-Ruheständler  George Bailey,  der nach 41 Jahren  am Klavier  das Stuttgarter Ballett verlassen hat und  demnächst    mit seinem Freund nach Rio fliegt, Modedesigner Tobias Siewert, Wommys Schneider, Tänzer Emil Kusmirek u.v.a.

Der Trend zum Tent hält an?  Nach dem Rausschmiss aus der  Rotunde der L-Bank verliert das Friedrichsbau Varieté im Januar 2014  seine feste Bühne.  Wäre ein Zelt eine Übergangslösung? „Bei uns  ist der Friedrichsbau in einem Zelt herzlich willkommen“, sagt   Schretzmeier.  Neben dem Theaterhaus befindet sich ein Brachgelände, das der Stadt gehört und momentan  von einem Autohaus als Parkplatz genutzt wird.  Als Konkurrenz stuft Schretzmeier die Artisten und Akrobaten nicht ein. Er sieht  Synergieeffekte, von denen beide Häuser profitierten.

„Für uns wäre  der Platz beim Theaterhaus eine schöne Option“, sagt Friedrichsbau-Sprecherin  Mascha Hülsewig. Beide Häuser würde eine langjährige Freundschaft verbinden. „Die Chemie stimmt.“  Die ersten Gespräche  über den Umzug auf den Pragsattel sind  bereits geführt worden.  „Auch die  Stadt hat diese Möglichkeit begrüßt“, berichtet  die Varieté-Sprecherin. Nun müsse man „eine realistische Lösung für die Finanzierung finden“. Ein Zelt sei „sehr kostenintensiv“.  Miete, Kauf, Ausstattung, Aufbau seien nicht billig. Der Friedrichsbau will  „so schnell wie möglich“ eine neue Bleibe  finden, damit ein durchgehender Spielbetrieb  ohne Leerlauf möglich sei. „Deswegen schauen wir uns auch nach anderen Möglichkeiten und Standorten um“, erklärt Mascha Hülsewig.

Dichter dran im Zelt – an den Künstlern, aber auch an den Naturgewalten. Es kann sehr heiß werden unterm Chapiteau.   Nach der Pause begrüßte   das Fräulein die Gäste  zum „zweiten Aufguss“.  Bei Gewitter müssten alle schnell  raus. Die Blitzgefahr ist zu groß. Am Nachmittag  hatte es heftig   gedonnert – doch bis zur Premiere war alles verzogen. Wommy rühmte ihre Kontakte nach oben: „Es hat sich doch gelohnt, dass ich die Theologie studiert habe.“  Jedoch sei ihre Festplatte  mit den Moderationstexten abgestürzt – alles  weg. „Aber NSA, der amerikanische Geheimdienst, hatte eine Kopie.“ So hat  das neue Zelt Weltgeschichte geschrieben. Obama rettete eine schwäbische Diva.

 

Ihnen gefallen bestimmt auch meine

weitere Posts