Komm, schlupf ens Gräbele!  Als Kinder ließen wir uns nicht lange bitten, wenn  Oma es erlaubte,  ins vorgewärmte Nest zu steigen. Schlechte Träume waren sofort vergessen. Das schwäbische Wort Gräbele, das auch im Badischen bekannt ist,  steht für die Mitte des  Ehe- oder Elternbetts und drückt vor allem eines aus:   Geborgenheit.

’s Gräbele! Fragen Sie, liebe Leserinnen und Leser, mal einen Bayer oder Preußen, wie er dazu sagt. Bettritze ist deren  Wort dafür.   Wie hört sich das  an, wenn ein Hamburger „Komm  in die Ritze“ sagt? Schon wird’s  jugendgefährdend. Die Ritze, mit  den aufgemalten Frauenbeinen an der Tür, ist eine St.-Pauli-Legende.

Das schöne Wort Gräbele  klingt heimelig  und vertraut  – beim  Wort Bettritze aber wird jeder sofort  alarmiert:  Achtung, durchs  Ehebett verläuft eine Grenze!   Und zwar genau durch die Mitte! Wenn es um Stuttgart 21 geht, also um Streit, redet auch keiner vom Gräbele – ein Graben führt durch die Stadt. 

Graebele’s Gräbele. Jetzt soll es in ganz Deutschland bekannt werden – und sorgt  doch selbst bei  Stuttgartern für  Irritationen. Weil die Evangelische Landeskirche 10 000 Betten in Privathaushalten für die Kirchennächte  des  35. Deutschen Evangelischen Kirchentags vom 3. bis 7. Juni in Stuttgart braucht, hat sie die Aktion „Gräbele gesucht“ gestartet. Nicht überall wird diese Bettgeschichte    verstanden.

Eine Kollegin aus München, die so lange   in Stuttgart  lebt, dass  sie das Wort Gräbele  liebgewonnen hat, ärgert sich, wenn sie  die kirchlichen  Plakate zur Bettkampagne sieht. Sie ist nicht katholischer als der Papst. Aber was hat  ein  wildfremder Christ in ihrem Gräbele verloren?

’s Gräbele ist ein  höchstprivater  Ort, den man nur mit seinen Liebsten teilt.  Die Organisatoren des Kirchentags  wissen das und liefern daher, so oft es geht,  die Erklärung dazu, die nicht auf den Plakaten steht:  Das  Gräbele dürfe man nicht wörtlich nehmen. Es stehe dafür, dass man unkompliziert und kostenlos  Übernachtungen anbietet.  Ein  Schlafsofa oder eine Liege im Wohnzimmer reichten völlig aus.  Wer ein Quartier bieten will – und sei es im Stall auf dem Stroh –, kann  bei einer „Hotline“ anrufen,  wie man bisher auf Neudeutsch gesagt hat. Bei den Kirchenleuten heißt das nun  „Schlummernummer“.  Wähle  07 11 / 6 99 49 - 200,  und  du wirst Teil des Kirchentags.  Damit die Nummer heißläuft, hat    Eric Gauthier, der Chef des Theaterhaus-Balletts,  mit seinem Ensemble am Dienstag   für ein Werbefoto  vorgeführt, was tänzerisch zu zwölft im Gräbele-Bett möglich ist.

Schon 1999, als der Kirchentag  zuletzt in Stuttgart weilte, wurde     die schwäbische Gastfreundschaft gerühmt.  An diese Tradition will man anknüpfen. Es könnte sein, dass es damals  mehr Gräbele gab.  Denn der Trend geht  klar weg davon. Der Handel verkauft immer mehr Betten mit durchgängiger  Matratze. Und das, obwohl   Oma  warnte: Man brauche zwei Matratzen mit unterschiedlicher Härte!   Bei einer übergroßen Matratze mit nur   einem Härtegrad liegt der schwerere  Mann   tiefer, und  die  Leichtere rollt rüber. Vielleicht ist das aber auch so gewollt.

Manch einer versucht, jeden Tag die Matratzen zusammenzuschieben und mit den  Spannbetttüchern  zu fixieren – doch die  Schlucht, die  bleibt.   Diesen Abgrund   kann man mit Schaumstoffwürsten stopfen, die als „Bettritzenfüller“  verkauft werden.  So ein Bettritzenfüller ist  der natürliche Feind des   Gräbeles.

Wir Schwaben bestehen aufs Bewährte, gerade auch der  dauerhaften Liebe wegen.  Weil man dank der Zweiteilung der Schlafstätte den anderen niemals  ganz haben kann, wird man ihn am Ende auch nicht  verlieren. Es lebe das Gräbele!

Seid willkommen, liebe Kirchentagsbesucher!   Schlaft gut auf unserem Sofa und in unserem  Gästebett! Ob  wir euch eines Tages ens   Gräbele lassen – das jedoch entscheiden wir heut’ no net.

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