Wenn es Nacht wird im Stuttgarter Westen. Draußen vor der Erotik-Boutique mit dem schönen Namen Frau Blum, quer gegenüber dem Künstlerhaus an der Reuchlinstraße, stillt eine Maultaschen-Rikscha den Hunger. Drinnen werden Masken getragen, die ebenfalls was verstecken – um den Appetit anzuregen auf sinnliche Momente.
Unterm Maultaschenteig sieht man das Fleisch nicht. Unter der Maske sind die Augen verborgen, die gierig oder gelangweilt sein können. Maskenbälle haben eine große Tradition. „Un ballo in maschera“ heißt Verdis Oper von 1859. Masken schaffen eine Anonymität, in der Hemmungen und Tabus schwinden.
Die Nacht der Masken und Maultaschen. Geht beides zusammen? Bei Schwaben in jedem Fall!
Der Maske, die an die Orgien des US-Films „Eyes White Shut“ erinnert, wird die Maultasche beiseitegestellt. Ratsam ist es, nicht immer nur an das eine zu denken. Abwechslung stärkt den Appetit.
Vor einem Jahr haben Mascha Hülsewig und Alexandra Steinmann ihr sexklusives Geschäft eröffnet, um Eros und Kultur zu verbinden. Von Anfang an lief es gut, als habe die Stadt darauf gewartet, dank des Kassenknüllers „50 Shades of Grey“ brummt es nun richtig. Raus aus der Schmuddelecke wollen sie Erwachsenenspielzeug holen und zu stilvollen Events vor ihrem Dessous-, Vibratoren- und Duft-Sortiment einladen. Bei der Feier zum ersten Geburtstag reichen die Stühle nicht. Das Publikum, überwiegend weiblich, umfasst mehrere Generationen. Ines Witka liest aus ihrem Buch „Die Nacht der Masken“, in dem sie lustvoll erzählt, was sie in einem Schloss bei Frankfurt erlebt hat. Dort zahlen maskentragende Paare 500 Euro Eintritt – auf der Suche nach neuen Kicks in barocker Opulenz.
Auf dieser Luxusparty in Frankfurt, schreibt die Autorin, lassen die Frauen und Männer „ihre Sexualität nicht hormongesteuert nebenbei laufen“. Sie wollten „Erotik bewusst erleben und inszenieren“. Die Boutique im Westen ist kein Frankfurter Schloss. Was hier inszeniert wird, ist Fantasie, die bei den Blums blühen soll. In diesem Laden gibt es keine Orgien, so wenig wie Video-Kabinen zur Triebabfuhr (immer wieder werden Männer, die dies hier vermuten, an den klassischen Sexshop verwiesen). Etliche im Publikum tragen venezianische Masken. Auf der kleinen Bühne stellen die Schauspieler von der Gruppe Theatertick dar, was die Autorin liest. Sie zeigen, wie das Vorspiel mit einer Feder aussehen kann, und wagen sich bis an einen vorgetäuschten Orgasmus heran, ohne dass wir uns im Publikum fremdschämen müssen. Das anrüchige Genre ist ein schmaler Grat.
Dem Volksmund nach schadet Dummheit beim Sex nicht – also ganz im Gegenteil. Doch jetzt soll es Eros mit Niveau sein. Intelligenzsex gar? Es ist wie beim Essen, findet Mascha Hülsewig: Mal freue man sich auf ein langgedehntes Vier-Gänge-Menü im Kerzenlicht. Aber zwischendurch könne auch ein Salamibrötchen auf die Schnelle lecker sein. Oder die Maultasche mit Röstzwiebeln auf die Hand.
Im Sortiment zwischen High Tech und Bio ist selbst das Getreide scharf. Frau Blums Maiskolben warten nicht auf Butter, sondern summen per Knopfdruck diskret. Sex ohne Liebe geht bei Frauen also doch. Oder lieben sie ihren Vibrator?
Nicht jedem stehen Masken. Manche brauchen den Schutz einer Maske gar nicht, um ihr wahres Ich herauszulassen.