Sehen Schwaben rot,  wenn es um die Kaste  Vip und wichtig geht?   Für das Programmheft  der 21. Filmschau Baden-Württemberg, die  Anfang Dezember die besten Regisseure, Schauspieler, Autoren und  Produzenten des Landes in Stuttgart versammelt,  bat  Pressesprecher Hans-Peter Jahn den   ortsansässigen Gesellschaftskolumnisten um ein kleines Interview. Er bat  mich. Seine erste Frage: „Können die Schwaben inzwischen auch roten Teppich?“

Ob der Teppich  rot, schwarz oder grün ist, antwortete ich,  sei  uns Schwaben ziemlich wurscht.  Hauptsach’, er isch frisch g‘saugt!  Nein, im Ernst. Der Schwab‘ von heut‘ folgt  ungern  dem  Klischee.  Bei uns  dreht sich nicht alles um  Kehrwoche und Sauberkeit, wie Zugereiste glauben,  und ein roter Teppich sorgt bei uns nicht automatisch  für Ehrfurcht. Auch für mich als häufiger Premierengast ist die Farbe eines Teppichs  egal. Da schaue ich lieber, was unter den Teppich gekehrt wird und ob der Teppich womöglich fliegen kann.

Gute Geschichten sind reizvoller   als die Aufzählung von Schauläufern, Halb-Sternchen und Möchtegern-Promis.  Im    Blitzlichtgewitter einer Premiere bleibt ohnehin selten Zeit für ein vernünftiges Gespräch. Aber  unsereins  ist trotzdem immer dabei, weil es am Rande oder hinterher doch  schöne Begegnungen geben kann und man oft die besten Informationen  zugesteckt bekommt, wenn man gar nicht damit rechnet.

Falls ein Berliner anmerken sollte, vom roten Teppich würden Menschen in unserer  Stadt wenig  verstehen, weil da nix los sei,  bekommt er von einem, der oft jeden Abend unterwegs ist, den Ranzen voll – also von mir. Hier  ein Blick in den Terminkalender der schwäbischen Society   vom 9. bis zum 13. November: 

Montag, 19. 30 Uhr, Preview des Musicals  „Rocky“, Palladium-Theater.

Dienstag, 19 Uhr, Premiere  im Palazzo-Zelt  von Harald Wohlfahrt, Wasen.

Mittwoch, 19.30  Uhr, Premiere  von „Rocky“,  Palladium-Theater.

Donnerstag, 19 Uhr, Premiere des  Audi A4, Audi-Zentrum  Stuttgart.

Freitag, 19 Uhr, Landespresseball, Liederhalle.

Mehr Rot geht kaum. Gut, „Rocky“-Vater  Sylvester  Stallone und Boxer   Wladimir Klitschko hatten – anders als  bei der eigentlichen Premiere 2012  in Hamburg – für den Start ihres Musicals in Stuttgart abgesagt. Solange wir immer nur  anderswo bereits gespielte Shows bekommen, überrascht das keinen.  Aber  stolz waren  die Musicalmacher, dass  Barbara Becker auf ihrer Vip-Liste steht, also eine Frau, die  keinen Hollywood-Film gedreht hat oder Weltmeisterin wurde. Sie  ist die Ex-Gattin eines Tennisstars, ging  in Pforzheim auf die Waldorfschule  und liebte es in dieser Zeit,    an den  Wochenenden in der großen Welt von Stuttgart  auf den Putz zu hauen.

Auf den Putz hauen! Ja, das kann man in  dieser  Stadt immer besser.  In den vergangenen 20 Jahren,  seit ich das Promi-Feld  beackere,  haben Selbstbewusstsein und Stolz auf das, was sich hier tut und was typisch für uns ist, auf angenehme Weise zugenommen. Und doch sind wir nicht so überdreht und vom Glanz des Glamours so geblendet, wie man dies aus Berlin, Düsseldorf oder München vernimmt. Wir sind nicht traurig, dass anderswo die Promidichte höher ist,  sondern froh, dass  man bei uns auf dem Teppich bleibt, auch auf dem roten.

Bei einer Party in einer Volksfest-Loge  hat mich ein stadtbekannter Caterer mal gefragt,  ob ich wüsste, wie man die Vips auf Schwäbisch nennt? Die  „Onnötigen“!

Man könnte auch sagen: Schwaben haben es nicht nötig, den dicken Maxe zu markieren. Understatement ist die elegantere Art, sich  seines Könnens sicher zu sein.

Der Fernsehjournalist Markus Frank vom SWR wollte mich in seinem Vorwort, das er  für mein  Kolumnenbuch Goht’s no? Lieben, Leben, Leiden im Land der Schwaben geschrieben hat, zum „Baby Schimmerlos von Stuttgart“

Foto von Timo Kabel

Foto von Timo Kabel

ernennen. Ich bat ihn, diesen Vergleich aus seinem Text zu streichen.  Natürlich habe  ich die TV-Serie „Kir Royal“ geliebt, in der Baby  Schimmerlos  mit seinem Porsche rumgekurvt ist und die  Schwangerschaft eines Soap-Sternchens mit dem Austausch von Urinproben nachweisen wollte. Aber  die Arbeit bei einem seriösen Blatt wie den Stuttgarter Nachrichten  hat  nichts mit einer Fernsehsatire zu tun. Wir überlegen uns ganz genau, was wir bringen können,  und wenn, dann sollte  es mit Ironie gewürzt werden.  Einen Baby Schimmerlos gibt es in Stuttgart nicht.  „Dazugehören“ sollte  der Kolumnist bei   der Gesellschaft nicht, über die er schreibt,  sondern  sie aus der nötigen Distanz beobachten.

Die Distanz war  aufgehoben, als das   weltbekannte Model  Jerry Hall, die Ex  von Mick Jagger, zur Premiere von  „42nd Street“ vorfuhr. Die Kamera der ZDF-Sendung „heute“ verfolgte die Schöne,  als sie vorm SI-Centrum aus der Limousine ausstieg und schnurstracks auf mich zulief, um mit mir nett  zu plaudern. Noch heute werde ich auf diese im ZDF ausgestrahlte Szene  angesprochen.  Und kann noch heute versichern: Nein, ich kannte die Dame nicht. Sie hatte mich schlichtweg mit jemandem  verwechselt.

Ben Streubel mit seinem Kumpel Udo

Ben Streubel mit seinem Kumpel Udo

Wer denkt, Udo Lindenberg ist unverwechselbar, dürfte sich täuschen, wenn der Panik-Rocker durch Stuttgart zieht. Dies tut er öfter, weil sein Kumpel, der SWR-3-Moderator Ben Streubel, hier wohnt.  Aber Udo trägt dabei nicht den schwarzen Hut,  sein Markenzeichen   – privat wählt er die Baseballmütze,  um unerkannt zu bleiben.  Heino wird dies nie gelingen. Mit ihm stand ich an der Haltestelle Liststraße, wo er in die Zacke zum rollenden Radiostudio von SWR 4  einsteigen wollte. Wir warteten 23 Minuten. Aus  der Zacke der  anderen Richtung stieg ein älteres Wanderpaar  mit Strohhüten und Rucksäcken aus.  „Das könnten Hannelore und ich sein“, sagte   Heino, „wenn es nicht mit meiner Musikkarriere geklappt hätte.“

 Es hat geklappt mit seinem Glück. 

jürgen im nebelUnd  bei uns Schwaben klappt es sogar mit dem  Glück, wenn kein roter Teppich ausgerollt ist, wenn dafür   rote Porträts an der Wand hängen.  Bei der Rathaus-Ausstellung „Rotraits“ von Silvie Brucklacher-Gunzenhäußer   wunderte sich kürzlich  jemand, dass auf den großformatigen  Fotografien vor rotem Stoff fast  nur  Stuttgarter   Künstler, Politiker, Musiker,  Kreative zu sehen sind,  die älter als 60 Jahre sind.   Warum keine Jüngeren?

Die Älteren  haben die Stadt geprägt.  In ihren Gesichtern bildet sich das Leben ab. Sie sind die wahren Promis von Stuttgart.

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