Ärzte sollen heilen – und selbst arbeiten sie in Kliniken unter oft ungesunden Bedingungen. Was man unter weißen und blauen Kitteln erlebt – und auf welche Gedanken man dabei kommt.

Das All-inclusive-Bändchen gibt Büfettplünderern freie Fahrt oder hilft, dass der Taxifahrer den Zecher ins richtige Hotel zurückbringen kann. Während Richter zu klären haben, ob Pauschaltouristen die Zwangskennzeichnung am Handgelenk im gesamten Urlaub wie festgenäht tragen müssen, gibt es etliche Häuser, in denen es keine Debatten darüber gibt. Hier bleibt das Bändchen rund um die Uhr dran. Aber man sieht’s ein. Wer will, dass einem der linke Zeh abgenommen wird, wenn rechts der Blinddarm sticht?

Als ich das letzte Mal Patient im Krankenhaus war, über 20 Jahre ist das her, gab es noch keine Patientenarmbänder mit Strichcode, die von fröhlichen Pflegern als „All-inclusive-Bändchen“ angepriesen werden. Das Büfett zum Plündern mag noch fehlen – doch das Speiseangebot der Klinik ist inzwischen so vielfältig, dass mehrere Menüseiten ausliegen. Was hab’ ich davon? Nüchtern muss ich bleiben. „All inclusive“ gibt’s bei mir intravenös. Bin nicht zum Vergnügen in der Station 12 A des Klinikums Ludwigsburg. Die Ärzte und Pfleger sind’s auch nicht. Was sie leisten, nötigt einem Respekt ab.

Stundenlanges Warten auf dem Flur

 

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Lange Dienste, hohe Verantwortung – der Arztberuf zählt zu den angesehensten Tätigkeiten, aber auch zu den stressigsten. Stellen werden eingespart, der ökonomische Druck wird auf Ärzte übertragen. Wie knapp kalkuliert wird, zeigt sich an allen Ecken und Enden. Der Patient, der pünktlich zum vereinbarten Termin erschienen ist, wartet stundenlang im Flur, bis sein Bett frei ist. Bevor es unters Messer geht, liegt er Seit’ an Seit’ mit anderen Kranken. Es geht zu wie im Taubenschlag. Betten werden rein- und rausgeschoben, und man fragt sich, wer im Durcheinander die Übersicht behält.

Fehler kann sich keiner trotz enormer Belastung erlauben. In Ludwigsburg treffe ich auf Ärzte, die ein Können und eine Souveränität ausstrahlen, selbst wenn sie am Limit sind. Auch ein Lächeln hat man gesehen, was für Patienten wichtig ist. Ein Oberarzt erzählt, dass er früher Tierarzt war und gebrochene Füßchen von Kanarienvögeln mit Zahnstocher geschient hat. Damals habe er Tiere eingeschläfert – dies blühe mir nicht. Mit Propofol bringe er mich nur zum Schlafen.

Kranke haben nur einen Wunsch

Das Leben mit Krankheit und Leid verändert einen Menschen, was keinen überrascht, der im Krankenhaus liegt. Plötzlich stellst du dir Fragen, an die du früher nicht gedacht hast oder die du verdrängen konntest. Plötzlich schrumpft der Ärger des Alltags, etwa dein Zwist mit einem Kollegen, zur Belanglosigkeit.

Gesunde haben viele Wünsche.

Kranke haben nur einen Wunsch.

Für die einen geht ihr Wunsch in Erfüllung. Andere müssen weitere Operationen oder kraftzehrende Therapien in Kauf nehmen. Nicht erst seit Herbert Grönemeyer wissen wir: Das Leben ist nicht fair. Die einen werden bevorzugt, bei anderen wird ihr Leid noch weiter verstärkt.

Keiner sollte dies vergessen, wenn er das Patientenbändchen abnehmen und zurück in den Alltag kehren darf. Kann sein, dass man danach einem dreisten Mitmenschen, der einen im Übermaß ärgert, am liebsten einen Klinikaufenthalt wünschen würde. Soll er dort zur Besinnung kommen! Doch es gibt andere Wege, jemanden auflaufen zu lassen, der Kleinigkeiten aufbläst und streitsüchtig wegen Lappalien ist. Eine Krankheit hilft, Maßstäbe zurechtzurücken.

Nichts als Glück ist nicht immer gut. Im Glück wird man vergesslich – man vergisst, wie schlecht es anderen geht und wie schlecht es einem selbst gehen könnte.

All inclusive – in einem erfüllten Leben kann alles inklusive sein: Glück, Spaß, Misserfolg, Hochgefühle, Schicksalsschläge, gute Laune und noch vieles mehr.

Alles ist im Leben inbegriffen – und ist oft seltsam gemischt.

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