Kennen Sie den Krause? Der Krause sieht aus wie ein scheuer Konfirmand, der nicht auffällt, wenn er im Zug hockt. Wie einer, der rasant rot wird, selbst wenn keiner Zoten reißt. Alles Tarnung. In Wahrheit ist TV-Moderator Pierre M. Krause ein begnadeter Zyniker und Medienfuchs. Mit seiner „Latenight“ holt er das Durchschnittsalter des SWR-Zuschauers von 95 auf 63 Jahren runter. Kürzlich hat er mit seinem lustigen Rowohlt-Buch „Hier kann man gut sitzen“ noch leidenschaftlicher als andere nachgewiesen, dass uns Städtern das Land fehlt, dass Provinz geil und Reizüberflutung Mist ist.

Der Trend ist ein Ding, das sich zwischen dem dörflichen Glück und der weiten Welt von Facebook nicht entscheiden kann. . Selbstverständlich leben der Krause wie auch ich abseits von allem großstädtischen Angebertum. Wir beide sind, was ebenso selbstverständlich ist, bei Facebook verbandelt. Um genau zu sein: Ich bin einer seiner 2669 Facebook-Freunde.

Weil man heutzutage die Telefonrechnungen seines Arbeitgebers kleinhalten will, wird bei Recherchen immer weniger telefoniert, dafür umso mehr gefacebookt und gemailt. An den Krause habe ich übers Netz eine Anfrage geschickt – und der Urlauber hat mir ruck, zuck eine vorbereitete Schrift retourniert. Da er weg sei, stand da, werde automatisch geantwortet. Aber „in ganz dringenden Fällen“ sei ein Notdienst eingerichtet: „Werner Schulze-Erdel übernimmt Galashows und Autohauseinweihungen für mich.“

Galas, Autohausdingens? Aber Krause, das geht jetzt gar nicht! Als wir EM hatten, dachte ich, da geht nichts außer Fußball – bis ich hörte,  was das Teufelszeug Facebook in meinem geliebten Musberg angerichtet hat. Musberg am Rande des Siebenmühlentals ist so idyllisch, dass sich mitten im Dorf ein Kuhstall befindet. In derselben Straße klingelten kürzlich in der Nacht partywütige Blindgänger an der Tür eines 17-Jährigen, der feiern wollte und dabei nicht mal EM-Spiele laufen ließ. Bundesweit hat der Klingelsturm als „Facebook-Party“ fast so viele Schlagzeilen gemacht wie Seehofers Internet-Sause. 32 Streifenwagen der Polizei rückten in Musberg an. Der Schüler, der nächstes Jahr Abi macht, hatte über Facebook eingeladen, aber nur 40 Freunde, wie er glaubhaft versichert. Irgendjemand habe die Einladung geteilt und weitergeleitet, weshalb geschätzte 500 Unbekannte den Garten und die Straße belagerten.

Der Gymnasiast verschloss die Haustür und wollte im Erdboden versinken. Facebook ist wie eine Lawine, die nicht zu stoppen ist – und keiner weiß, wer sie losgetreten hat. Künftig will der 17-Jährige nur noch übers Telefon einladen.

Ja, das gute alte Telefon gibt’s noch, obwohl die mobilen Geräte heute kleine Computer sind. Von der Facebook-Sucht gezeichnet, hängen viele am Smartphone wie an der Nadel, posten oder twittern selbst dann, wenn sie Fernsehen schauen oder ein romantisches Date erleben. Weil die gute alte Tante ARD unbedingt jung werden will, hat sie während den EM-Übertragungen im Bildschirmtext unter 777 einen Twitter-Dienst eingerichtet. Zuschauer können via Internet ihren Senf zum Gezeigten geben, was dann für alle angezeigt wird. Beim Deutschland-Spiel gegen Portugal gelang es mir, den Text auf 777 anzuschalten. Lattenpirat forderte nach Boatengs Superleistung : „Gina-Lisa für alle!“ Mit Schrecken dachte Heini an „Waldis Weißbierwigwam“. Irgendwann protestierten meine Mitseher, weil der Bildschirmtext den unteren Teil des Rasens überdeckte. Ich musste die 777 ausschalten, besonders ein Freund mit Fußballverstand beschimpfte mich. Ich überlegte, ob ich mit seinem Namen zu einer Facebook-Party in seine Wohnung einladen sollte. Big Brother Is Watching You. Dank Facebook hast du tolle Freunde, von denen du viele nie kennenlernen willst. Die Geister, die du rufst, wirst du nicht mehr los. Hilfe! Wir brauchen deinen Notdienst, Krause, mein Freund!

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