Der Maler und sein Modell  – seit Jahrhunderten beflügeln sie  die Fantasie.  Dieter Blum hat 70 Künstler mit Aktschönheiten fotografiert. Zu sehen bis zum 21. Dezember 2012 in der Galerie Abtart in Möhringen.  Eine Bücher-Schau zwischen Männerträumen,  Musenküssen und Provokationen.

Um Frauen kurz vor dem  kleinen Tod geht es an diesem Abend  eigentlich gar nicht. „Coming Soon“, so heißt eines von etwa 70 Büchern, die der weltweit gefeierte und aus Esslingen stammende Fotograf  Dieter Blum gemacht hat. „Coming Soon“ liegt an diesem Abend bei der Vernissage in Möhringen  aus und zeigt Frauen beim Sex kurz vor dem Orgasmus. „Wir zeigen nur die Gesichter der Frauen“,  sagt Blum mit dem Lächeln eines Lausejungen,  noch bevor seine neugierig gewordenen Gäste den Band  durchblättern können.

Blums graue Haare und Gesichtsfurchen lassen auf sein Alter schließen, auf seine 76 Jahre, nicht aber  seine schlanke Gestalt, sein agiles Wesen,   immer auf dem Sprung, immer in Lauerstellung mit der Leica M  9,  die er aus dem Handgelenk schüttelt und mit der er Vernissage-Gäste schneller einfängt, als die ihr Cheese-Lächeln anknipsen können. In „Coming Soon“, jenem  besagten  Sex-Buch also, findet sich ein Zitat der 54-jährigen Pop-Diva Madonna, über das man in einer immer älter werdenden, aber sich immer jünger fühlenden Gesellschaft kurz mal nachdenken kann. Also mindestens für die Länge eines Quickies. „Ich bevorzuge junge Männer“, soll die US-Sängerin gesagt haben, „sie wissen zwar nicht was sie tun, aber sie tun es die ganze Nacht.“

Und was tun ältere Männer?  Wovon träumen sie nachts? Etwa davon, dass sie  junge Frauen mit ihrem Pinsel in Ekstase malen? Das Thema ruft nach Doppeldeutigkeit. Nicht leise, sondern mit heftiger Farbenfülle produziert sich das 244-seitige Buch „A Part of Art“ in praller Wucht. Bei  Galeriechefin  Karin Abt-Straubinger wird es mit Künstlern wie San Keller  (Zürich) und Viktor Popov (Düsseldorf) gefeiert. Seit 1991 hat Blum  70 Künstler mit Aktmodellen fotografiert. Der Clou daran: Blum  überraschte die Künstler, in dem er ihnen ein (rasch nacktes) Modell mitbrachte mit der Bitte, die Dame künstlerisch zu gestalten. Aktmalen wird zum Aktbemalen.  Das Ergebnis ist in dem Bildband zu sehen, bei dem sich der Waiblinger Kunstliebhaber Heinz Wurzel die Freude gemacht hat, ihn herauszugeben in der Hoffnung „irgendwann mal was daran zu verdienen“. Es ist wohl mehr Leidenschaft als wirtschaftliche Vernunft.

Vor 20 Jahren schaute  Blum mit dem Model Claudia Kron bei dem Maler Ben Willikens  in dessen Stuttgarter Atelier vorbei. Genüsslich stehen  20 Jahre später Willikens, 73,  und das Model bei der Vernissage in Möhringen vor diesem Foto, das  für so viel Wirbel sorgte. Feministinnen beschimpften den Maler, weil der sich im Smoking an der Seite einer nackten Frau fotografieren ließ, die gebückt einen blauen Müllsack hält. Heute erklärt Willikens das Bild so: „Dieter kam mit Claudia zu mir, und ich erklärte ihm, dass ich keine  Körper bemale. Dann habe ich den Smoking angezogen, um einen möglichst großen Gegensatz zu erreichen. Weil irgendwas auf dem Foto noch fehlte, nahm Claudia den Müllsack in die Hand, der zufällig in der Ecke stand.“ Ja, man habe mit diesem Foto provozieren wollen, doch frauenfeindlich sei es keinesfalls.

Frauenfeindlich? Wie ist das Verhältnis des Malers zum Aktmodel? „Es ist eine Arbeitsbeziehung“, erklärt mir der Künstler Markus Tollmann.  In der Stretch-Limousine ist der 49-Jährige  aus Düsseldorf  angereist.  Das  lange Ding steht nun angeberisch  und düsseldorferisch vor der Galerie, als müssten Männer immer nur stolz auf Größe sein.    10 000 Aktmodelle hat er  bisher vor sich gehabt, verrät er, aber bisher „nur  mit 37“ was gehabt. Wir lernen:  Die Sex-Quote ist gering, wenn es um   hohe  Kunst geht. Für  Blums  Projekt peitschte er seine Frau mit vier Kilo Farbe zu. „Ich habe sie  mit Farbe hingerichtet“, sagt er und lächelt. Eine halbe Stunde habe sie gebraucht, um sich unter der Dusche die Schichten abzuwaschen. Na und? „Wer gemalt wird“, sagt Tollmann, „wird unsterblich.“

Was wir außerdem lernen:  Wer als Künstler  Unsterbliches schafft, spielt mit der Wahrheit.  Blum war der einzige Deutsche,  den Marlboro  für die Werbung engagierte.  Als erster inszenierte er  Zigaretten-Cowboys als Gemeinschaft, nicht als einsame Helden. Auf einem Foto, das  Abtart bis zum 21. Dezember  zeigt,  sehen wir einen Reiter, der auf seinem  Pferd  – nicht gerade  heldenhaft – eingenickt ist. Ein zufälliger Schnappschuss? „Nein“, sagt Blum, „das war inszeniert wie alles.“    Frauen, ob im Buch „Coming Soon“ oder im  restlichen  Leben, gelten als Meisterinnen von vorgetäuschten Höhepunkten. Aber auch ein guter Fotograf muss diese Kunst beherrschen – die Kunst des Vortäuschens, auf dass  dabei  fantastische  Momente herauskommen. Coming soon!

Ihnen gefallen bestimmt auch meine

weitere Posts