„Kunst ist immer erotisch“, hat Picasso gesagt und damit gar nicht erst zugelassen, dass man in Aktmalerei zu viel hineindeutet und nur Schlüpfrigkeiten spürt. Erotisch, was sonst? Was den Menschen antreibt, spornt den Künstler noch viel mehr an.
Der Künstler liegt mit seinen Bildern nicht auf der Therapeutencouch. Zu seinem Job gehört die Provokation. Aber eines fällt in dieser Jahreszeit in Stuttgarter Galerien auf. Es wird Winter, und da zeigen die Werke an der Wand ihre Blößen. So cool und zugleich heiß war’s dort schon lange nicht mehr. Nach der Akt-Ausstellung in der Möhringer Galerie Abtart – Fotograf Dieter Blum zeigt bei „A Part of Art“ seine Meisterstücke –, geht es unverhüllt und ratzekahl gerade so weiter. In der Galerie Bovistra, Ludwigstraße 66, stellen die Fotografen Ralf Wehrle und Uwe Frank unter dem Titel „Masculine“ makellose Muskellandschaften in Schwarzweiß aus (Ümit Aslim zeigt dazu Skulpturen). Und Galerist Marko Schacher führt mit der Ausstellung „Gürtellinie“ im Galerienhaus Stuttgart, Breitscheidstraße 48, vor, wie schmal der Grat zwischen an- und abtörnend ist, zwischen „scharf“ und „So ’ne Sauerei!“ Der dicke Herr, den wir hier in allerlei Positionen sehen, ist „Georg im Puff“ – so heißt die Fotoserie, die der Aktionskünstler GAW von sich selbst mit wechselnder Gürtellinienbegleitung gemacht hat.
Bitte, wenn’s der Leser so will! „Mehr davon“, schrieb mir Impresario Klaus von Maur zum Beitrag über den Maler und die Muse (siehe Blogeintrag „Für die Länge eines Quickies“ vom 10. November): „Werden Galerien und Künstler auf diese Weise ins Bild gesetzt, ist dies ein vergnügliches Erlebnis. Davon profitiert die Kulturstadt Stuttgart. Und endlich nix mehr vom ewigen Thema S 21 .“ Stuttgart 21 treibt alle um. Galerist Schacher sagt aber auch: „ Sex geht immer.“ Wir Journalisten müssen freilich aufpassen. Auf unsere Gürtellinie. Die Veranstalter der Abtart-Ausstellung schickten als Dank eine Pralinenschachtel in die Redaktion der Stuttgarter Nachrichten. Merci im Namen der Kollegen zurück. Meine Büronachbarn haben gern und fleißig mitgenascht. So werden wir niemals Models im Studio blackwhite. Seit 1993 setzen die Fotografen Ralf Wehre und Uwe Frank unter diesem Ateliernamen – neben ihrer Arbeit für Werbung und Mode – Männerakte in Szene. Was reizt sie daran? „Wir lieben den Purismus“, sagt Wehrle, „es ist schön, Modelle in ihrer Reinheit, Ästhetik und Unverfälschtheit zu zeigen und gleichzeitig die erotische Komponente kunstvoll durch Perspektive, Licht und Pose umzusetzen.“
Gibt es einen Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Aktmodellen? „Bei einer Professionalität eines Fotoshootings nicht“, antwortet Uwe Frank, „ein wichtiger Unterschied liegt aber darin, was man als Fotograf persönlich empfindet.“ Macht ein schwuler Fotograf die besseren Männerakte und ein Hetero-Fotograf die besseren Frauenakte? Das Wort besser gefällt den beiden von blackwhite nicht. „Vielleicht fotografieren wir als schwule Fotografen die Männer anders – letztendlich liegt es aber auch im Auge des Betrachters.“ Wo finden sie ihre makellos gebauten Models? Beim Casting, sagt Wehrle, spielen soziale Netzwerke eine immer größere Rolle. Die Kunst ist es, mehr zu zeigen als entblößte Körper. Wehrle: „Nacktheit enthüllt sich selbst – ein Akt wird zur Schau gestellt.“
Das Schaffen von Schönheit kann zur Kunst werden – aber auch genau andersrum ist’s möglich. Zur Hässlichkeit bereit ist der Aktionskünstler GAW, 50, der in der Schau „Gürtellinie“ seine Fotoserie „Georg im Puff“ vorführt. Bei der Vernissage hat er getragene Schlüpfer – eingeschweißt in Plastikfolie – verkauft. Wer die Bilder sieht, die der Sozialarbeiter Georg Alfred Wittner, einst der Metzgerdarsteller in der RTL-Serie „Ritas Welt“, an Originalschauplätzen in Stuttgart und Umgebung gemacht hat, kann sich vorstellen, was für eine freudlose Angelegenheit Puffbesuche sein müssen. Der dicke Mann sitzt frustriert auf Lotterbetten. Bei Schacher stellt GAW als Kunstfigur Georg mit Klaus Mellenthin, 42 (sein Foto „Pool“ am Ende des Blogs), Peter Franck, 48, Jürgen Palmer, 55, und Yves Noir, 45, aus. Die Künstler sind allesamt Männer im mittleren Alter – da hat man beim Thema Sex schon was mitgemacht, aber so manche Fantasien sind noch offen.
So verschieden Menschen sind, so verschieden sind auch erotische Träume. „Die Meinungen darüber, welche Ansichten und Handlungen erregend sind, divergieren stark“, sagt Galerist Marko Schacher, 42, „abhängig von unseren sexuellen Neigungen, unserem Alter, unseren Erfahrungen, unserer körperlichen und seelischen Verfassung empfinden wir bestimmte Bilder als erotisch – oder eben nicht.“
Die Liebe zur Kunst jedenfalls ist käuflich. Alle Akte kann man sich an Weihnachten gegenseitig schenken. Was der eine im Wohnzimmer aufhängt, passt beim anderen allenfalls in die SM-Tiefen einer Kellerkammer.
„Kunst ist immer erotisch“, wissen wir von Picasso. Doch nicht alles, was unter die Gürtellinie geht, ist damit Kunst.