Schöne  Grüße  aus der Vergangenheit! Eine Stadtführung muss nicht immer nur die  klassischen Sehenswürdigkeiten    ansteuern. Mit alten Postkarten vom Stuttgarter  Flohmarkt lässt sich Spannendes über heute  herausfinden.

Im März 1921 erreicht  eine bunte Postkarte die Gebrüder Haaga in der Böheimstraße 42 im Stuttgarter Süden.  „Hochachtungsvoll“ grüßt der Absender „aus dem fernen Osten“, wie seine  nach rechts geneigte,    energische Schrift mitteilt.  Einzelheiten über seinen Aufenthalt in Tokio verrät er  nicht. „Rapport in Monatsfrist folgend“,  ist auf der 91 Jahre alten Karte zu lesen, auf der die  Einkaufsstraße Nakamise zu sehen ist.

Für wenige Euro gibt es massenhaft Postkarten wie diese auf dem Stuttgarter Flohmarkt – und sie können sich  als wahre Kostbarkeit entpuppen. Die Liebe führte den britischen  Künstler  Kaspar   Wimberley vor sechs Jahren zu den Schwaben. Mit seiner Lebensgefährtin Susanne Kudielka  stöbert er gern in alten Kartensammlungen auf dem Karlsplatz.  Daraus entstand – nach einer Idee von Andrea Greenwood – eine  „Arttour“, wie sie es nennen, eine Entdeckung der Stadt  mit ungewohnten   Mitteln. Bei ihren „Postcard-Walks“, bei Spaziergängen mit alten Postkarten,  werden die Reisenden früherer Zeiten  mit den Menschen verbunden, die heute unter der Adresse zu finden sind.

Die Tourteilnehmer strömen aus,  um  zu erkunden, was aus den Orten und aus den Empfängern der Karten geworden ist.  Man klingelt an fremden Türen – und oft kommt es zu  überraschenden Begegnungen.

Zurück zur Böheimstraße 42. Die Gebrüder Haaga leben dort schon lange nicht mehr. Bei Google View sieht man ein Schild auf diesem Haus. Eine Außenstelle des Marienhospitals ist dort untergebracht –  die Pressestelle. „Noch heute sagen Ordensschwestern Haaga-Haus zu diesem Gebäude“, berichtet Peter Krause,  Sprecher der Klinik, am Telefon. Er schickt das 1990 erschienene Buch zum 100-Jahr-Jubiläum des Marienhospitals zu mir  in die Redaktion. Darin erfahren wir, dass die Klinik 1972 das Fabrikanwesen Haaga gekauft hat, um dort Lagerräume und Werkstätten unterzubringen. 1974 ziehen außerdem die Schreinerei und die Sattlerei des Marienhospitals in die Böheimstraße 42.

Eine Postkarte von 1940 zeigt den alten Marienplatz. „Zahnradbahn nach Degerloch“ steht über der Glasfassade des Kiosks. 1936 war der Bahnhof der Zacke, die seit 1884 den steilen Weg nach oben klettert, von der Filderstraße auf den Marienplatz verlegt worden.  Benannt ist der Platz nach Maria von Waldeck und Pyrmont, der späteren Gemahlin von König Wilhelm II. „Stuttgart –   Stadt der Auslandsdeutschen“, steht auf der  Postkarte, die aus jener unheilvollen Zeit stammt, als der Marienplatz „Platz der SA“ hieß. In Stuttgart war die Behörde für Auslandsdeutsche untergebracht, weshalb die Nazis diesen „Ehrentitel“ vergaben.

Auf Spurensuche in der Stadt. Die „Postcard-Walks“ laden ein zum Spazierengehen und Aufspüren vergangener Geschichten. Anmelden kann man sich  unter  der Telefonnummer   0 17 51 99 89 17 oder im Internet unter http://stuttg-arttours.de.

Mehr Postkarten gibt’s auch im Stuttgart-Album auf Facebook.

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