Im heißen Fett ausgebacken,  nur echt mit Marmelade drin: Nicht alle Berliner sind so süß wie das Siedegebäck. Auf die Backpeifen, die  Wolfgang Thierse den Schwaben verpasst hat, lässt sich noch immer eins draufsetzen. Man kann etwa dieses Schild aufhängen, das von dem Künstler Pierre Granoux stammt und aussieht wie eine Kehrwochentafel. Aufschrift: „ES IST VERBOTEN SCHWÄBISCH ZU SPRECHEN UND AUF DEN BODEN ZU SPUCKEN.“  Schwaben  als Kunstobjekt!  Das schafft nicht jeder Volksstamm. Es ist verboten, arrogante Hauptstädter zu bespucken. Aber es ist erlaubt, sich über Verbotsschilder hinwegzusetzen.

 Noch immer fährt Michi Beck, Mitglied der Fantastischen Vier,  in seiner Wahlheimat Berlin mit  Stuttgarter Kennzeichen umher. Die Kratzer, die  der 44-Jährige damit  regelmäßig an seinem Auto   kassiert, bessert er nicht mehr aus: „Das wäre völlig sinnlos.“ Sozialneid, sagte der Rapper  der „taz“, gäbe es in jeder Stadt, auch in Stuttgart. Aber in Berlin sei  angesichts  wohlhabender  Schwaben der Sozialneid „anscheinend schick geworden“. Und was schick ist, reißt  selbst  einen old-fashioned  wachsenden  Zauselbart mit.  „Niemals hätte Thierse so etwas über Araber, Türken oder gar Juden  sagen dürfen“, hat mir  eine Stuttgarterin gemailt, die  in der Hauptstadt lebt und sich keineswegs  verfolgt fühlt.

Wolfgang Treiber, der Großbäcker aus  Leinfelden-Echterdingen mit 27 Filialen,   amüsiert sich köstlich über das Schrippen-Weckle-Getöse.  „Wir haben  schon Backware an die Spree  geliefert“, hat er mit gesagt,  „die brauchen  schwäbische  Hilfe.“  Konsequenzen   nach Thierses Attacke  zieht er nicht. „Berliner raus“, ruft  bei uns in Stuttgart  noch  keiner. Ganz  im Gegenteil: Berliner rein ins Sortiment!  Treiber:  „Die Berliner, zu denen  man in Berlin  Pfannkuchen sagt, gehen bei uns seit Neujahr  wieder sehr gut – nicht nur an Fasching.“ 

 Ja ist denn heut’ schon Sommerloch?   Im kalendarischen Winter wird Schwabenhass ausgerufen. Doch ist es wirklich Hass? Ist es nicht nur Rivalität, eine völlig normale menschliche Reaktion? Wer kann schon jeden leiden?  Nichtraucher mögen  Raucher nicht,   die S 21-Gegner die S 21-Fans  nicht.  Fitness-Süchtige lästern über Dicke und umgekehrt.  Es ist gruppendynamisch hilfreich, wenn man sich gemeinsam von einer anderen Gruppe abgrenzt.

 „Die ganze Geschichte  mit dem Schwabenhass  ist echt ne olle Kamelle“, sagt der aus Cannstatt stammende Buchautor Claus-Eckart Schmidt, der an der Spree  drei Jahre gelebt und dort das Schwabennetzwerk gegründet hat. „Mehr als peinlich“ sei die Sache für einen Bundestagsvizepräsidenten. „Oder hast du schon   in Stuttgart ,Wecken‘ oder einen ,Pflaumendatschi‘ bestellt ?“, fragt er mich.

 Aber  Herr Schmidt, war’s nicht  nur ein  Humortest des Herrn Thierse? Oder seine raffinierte Abwehr, nicht zum „Bartträger des Jahres“ ernannt zu werden?  Diese Ehrung wird Jahr für Jahr von Schwaben in Leinfelden-Echterdingen verliehen.

 In einer  Bäckerei  kann man aber nicht nur wie Herr Thierse wütend werden – man kann  sich auch  verlieben. So ist’s   dem Stuttgarter „Tatort“-Kommissar  Richy Müller geschehen.  Auf der Suche nach Brötchen hatte  sich der 57-Jährige  erst verfahren und dann seine 43-jährige Freundin Christl S., eine Bäckerin,  kennengelernt, wie er der „Bunten“ verriet.   Aus regelmäßigen Einkäufen  sei  Freundschaft und nach sechs Jahren Liebe geworden, weil „wir  eines Tages feststellten,  dass Christl immer das ausspricht, was ich denke, und umgekehrt“. Ach, wie angeklebt haben die beiden jüngst bei der Musical-Premiere von „Sister Act“ im SI-Centrum Händchen gehalten! 

 Ja, ist das schön, wenn einem das Glück  bei  Brötchen und Berliner  begegnet! Doch es tut auch gut, sich zwischendurch ordentlich aufzuregen. Über Schwaben darf man schon mal ablästern.  Aber das, Herr Thierse, übernehmen wir gefälligst selbst!  

 

 

Ihnen gefallen bestimmt auch meine

weitere Posts