Abschalten! Wer das kann, kann viel. Erst waren die Geräte stand-by, also immerzu in Betriebsbereitschaft. Dann haben die Menschen diesen Modus übernommen. „Abschalten lernen in drei Wochen“, so heißen moderne Seminare, die uns keine Ruhe lassen, weil wir alle Punkte gewissenhaft durchackern müssen, die im Begleitheft – ACHTUNG, MACHEN SIE MIT! – dick unterstrichen sind.
Abschalten! Manche meinen ja, in Kirchen sollten Verbotsschilder aufgehängt werden, auf denen ein Handy rot durchgestrichen ist. Aber warum sollte man sich über pubertäre Konfirmanden empören, die selbst im Gottesdienst die neuen Facebook-Posts am Taschentelefon abrufen? Wo diese Unart ebenso bei Erwachsenen verbreitet ist, die in Parlamentssitzungen oder bei Vorträgen ihre Finger nicht von diesen Dingern lassen. Da wird irgendein Live-Ticker verfolgt oder im Sport-App gecheckt, ob der Herr X noch Trainer von Y ist. Ist gar nicht leicht, höflich zu sein, also dem Redner zu lauschen oder deinem Date im Café, wenn dein iPhone piepst und dir mitteilen will, dass der Goldkurs steigt oder dass ein Spam mit Viagra-Angebot eingegangen ist. Dazu müsste man wissen, wo sich der Ausknopf befindet.
Und wo ist die Pausentaste bei einem Menschen? Der Stuttgarter Artist und Zirkuspädagoge Martin Bukovsek, 42, alias Carismo hat sie vor 20 Jahren bei sich entdeckt. Seitdem steht er im Guinness-Buch der Rekorde. In diesen Tagen feierte er Jubiläum einer Leistung, die kaum zu begreifen ist in einer Welt, die eingezwängt ist von Hektik und Lärm. Carismo stand 1993 (hier das Foto) auf der Messe still. 16 Stunden, 16 Minuten, 16 Sekunden lang. Weltrekord!
Nein, es sei nicht seine Absicht gewesen, ins Guinness-Buch zu kommen und berühmt zu werden. „Als Zirkuspädagoge wollte ich den Schülern zeigen, dass man ein Ziel erreichen kann, wenn man es sich nur fest genug vorgenommen hat“, sagt Carismo. Er wollte vorführen, wie lohnend es ist, nicht aufzuhören, bevor was zu Ende ist. Und er wollte klarmachen, dass Stillstand die beste Fortbewegung sein kann – die Fortbewegung im Kopf.
Meditieren, innehalten, Kraft schöpfen. Es überrascht nicht, dass Martin Bukovsek weder ein Smartphone besitzt noch einen Fernseher. Immer wieder steht er öffentlich still. Zuletzt hat er in der Konzertreihe „Klangraum Stille“ die Kirche St. Fidelis in vier Stunden und 16 Minuten von hinten nach vorne so langsam durchschritten, als könne er damit die Zeit anhalten. Es schien, als nehme er nichts mehr um sich wahr. Er war in seinen Gebeten vertieft. Der christliche Glaube gibt ihm Halt. „Das Kreuz ist meine Kraftquelle und meine Lebensversicherung“, sagt er. Als Luftakrobat wolle er deshalb so hoch hinaus, um dem Himmel und damit Gott nahe zu kommen.
Wenn er keine Halle zum Trainieren hat, hängt er sich an einen Baum im Wald. Die Arbeit mit dem Vertikaltuch erfordert Höhe: „Ich muss mich aus 15 Meter Höhe runterfallen lassen.“ An einem Hubschrauber hing er schon und wird weitere waghalsige Dinge unternehmen. „Es geht mir nicht darum, einen Kick zu bekommen“, erklärt er. Es geht ihm um ein Leben in innerem Frieden und im Glauben.
Dazu braucht man immer wieder Stille. Sie ist die Quelle der Gedanken. Wer in die Stille horcht, kann Antworten finden. Oder? Sorry, kann nicht länger darüber nachdenken. Mein Handy klingelt.