Erst schwebte er völlig losgelöst ganz nach oben, dann ist er völlig abgestürzt. Peter Schilling, 56, lange vor den Fantas und vor Cro Stuttgarts erster Popstar, beschreibt als Buchautor seinen überwundenes Burn-out. Auf Heimatbesuch sagt er: „Die Krisen haben mich stark gemacht, nicht die Erfolge.“
Schluss, aus, es reicht! Unzählbar ist, wie oft Peter Schilling (hier ein Foto von 1985) „Völlig losgelöst von der Erde, schwebt ein Rau-haum-schiff“ gesungen hat, seinen Welthit von 1983. Unfassbar war’s für ihn, wie schmerzhaft so ein Ohrwurm sein kann.
Seine „Halbplayback-Jobs“, wie er sie nennt, führten ihn in Kurparks, zwischen Einkaufswagen und Coffeeshops. Seine große Liebe zur Musik, so schreibt er, blieb beim Tingeln und Tangeln auf der Strecke: „Mir war entsetzlich schlecht, ich schämte mich vor mir selbst.“ Er konnte nicht mehr. Dazu brachen Wunden seiner Kindheit auf.
Der einst strahlende Plattenmillionär, der den größten Hit seines Lebens in der Spitzenzeit 85.000- mal am Tag verkauft hatte, verlor den letzten Rest seines Selbstwerts. 1989 wog der 1,74 Meter große Mann nur noch 54 Kilogramm. Zitternd saß er vor dem Mischpult, wachte nachts schweißgebadet auf und hatte einen Erstickungsanfall. „Ich bekam keine Luft mehr und geriet in Panik“, schreibt der 56-Jährige in dem Buch mit dem überraschenden Titel „Völlig losgelöst“, das für ihn „mehr Ratgeber, weniger Biografie“ ist. Er will Menschen, denen der Boden unter den Füßen weggerissen wird, zeigen, wie es aufwärts geht, wie sie sich selbst wieder wertvoll finden.
Von einem „Trancezustand“ auf dem Gipfel des Ruhms war er in ein „Gefühl der inneren Leere und Einsamkeit“ runtergeknallt. Die Geschichte des früheren Weltstars, der seinen Vater nicht kannte, der als Kind in Stuttgart den Selbstmordversuch seiner Mutter miterlebte, der bei seiner überforderten, aber liebenden Großmutter an der Schwabstraße aufwuchs und Drogen nahm, ist aus jenem Stoff, den sich Markus Lanz und Co. für ihre Talkshows wünschen. Schilling – seit vielen Jahren lebt er in München – legt deshalb gerade viele Kilometer im Auto zurück, auf dem Weg von Buchpräsentationen zu TV-Auftritten. Am Freitag steuerte der Sänger einen wichtigen Ort seiner Vergangenheit an: das Musikhaus von Hans R. Schweizer an der Olgastraße. Hier hat er in den 1980ern zum ersten Mal gespürt, wie glücklich eine Gitarre macht. Hier hat er jetzt wieder nach der Gitarre gegriffen
Der Beltz-Verlag hielt es für werbewirksam, dem Buch den Titel jenes Megasellers zu geben, den Schilling wie einen Fluch nie los werden wird. „Völlig losgelöst“ steht aber nicht allein. Der Untertitel macht klar, dass den Leser keine leichte Blick-durchs-Schlüsselloch-Kost erwartet, sondern ein Vordringen in psychologische Zusammenhänge: „Mein langer Weg zum Selbstwert – vom Burnout zurück ins Leben“. Als kaum jemand den heutigen Modebegriff Burn-out kannte, hatte er einen. „Das ist keine Grippe“, sagt er, „das ist lebensbedrohend.“ Seine zentrale Botschaft: Der Mensch muss seinen Selbstwert kennen, zu ihm finden und darf ihn niemals opfern
Der 56-Jährige ruft auf zum Selbstwertcheck. Keine Ahnung, wie oft das Wort Selbstwert in dem Buch vorkommt. Ich fürchte, ein bisschen zu oft. Berührend sind die persönlichen Erlebnisse. Das unentwegte Preisen der Selbstwertchancen indes ermüdet, weil sich’s ständig wiederholt. Wir lernen: Du sollst dich selbst super finden. Wenn du in den Spiegel schaust, meint er wohl, sollen dir die schönen Dinge auffallen, nicht deine Falten. Nein, du sollst dir zujubeln: „Ach, leuchten meine Augen toll!“ Es sind die Gedanken, die Gefühle machen.
Im Mai erscheint zu seinem 30-Jahr-Bühnenjubiläum ein neues Album. Im vergangenen September hat er zum zweiten Mal geheiratet. Ein Popstar a. D. und sein spätes Glück. Der Spaß am Leben kehrt zurück. Der Mann, der durch die Hölle ging, will die Welt warnen – dies könnte ein Teil der Therapie sein. Schilling präsentiert sich sympathisch, zeigt Auswege und entdeckt das Licht dort, wo’s dunkel scheint.
Wer den Sinn einer ersten Krise nicht verstanden hat, wird mit einer weiteren bestraft. Sollte dieses Gesetz stimmen, hat Stuttgarts erster Popstar noch ein schönes Leben vor sich. Denn seiner Krise kann er fast dankbar sein – sie hat ihm neue Welten eröffnet. Da wünscht man ihm für die Zukunft vor allem eines: bloß keinen Megahit mehr!