Eine Frau ist in der Lage, ihr bestes Stück jederzeit um die Schulter zu hängen und auszutauschen. Können wir Männer das auch? Zur Handtasche hat das weibliche Geschlecht ein besonders inniges Verhältnis. Wir Männer werden das nie verstehen. Aber es gibt einige von uns, die tun mehr als andere für das Glück der Frauen.  Vincent Klink, seit 1991 Patron der Wielandshöhe, ist so einer.  Kürzlich war ich in seinem Restaurant und wunderte mich, warum die Kellnerin mit einem kleinen Hocker anrückte. Wir hatten kein Kind dabei. Es war der Hocker für die Handtasche. Die soll auch nicht leben wie ein Lump, muss auf Vincents Höhen nicht wie ein Hund auf dem Boden liegen.

 Wer an einem Samstag zum ältesten Stuttgarter Sternenkoch  will, muss in der Regel ein halbes Jahr davor reservieren. Auf einen Donnerstag wartet man nicht so lang. Auch an einem Donnerstag lässt sich der Küchenmeister, der Wert auf regionalen Anbau seiner Produkte und artgerechte Tierhaltung legt, im Restaurant blicken. Obwohl dieser Tag sein Stresstag ist. In Baden-Baden ist er donnerstags live im TV-Studio des „ARD-Buffets“  und zeichnet danach seine Koch-Kunst-Sendung auf. Am Abend ist der 64-Jährige wie immer bei seinen Gästen. Klink ist ja nicht nur Koch, sondern auch Literat. Wenn er seine Runde macht, findet er an jedem Tisch eine andere Geschichte.

Man bekommt in der Wielandshöhe nicht nur ein außergewöhnliches Menü (vier Gänge kosten 78 Euro –  viele können sich das nicht leisten, aber wer es kann, sollte es tun). Man findet hier auch Stoff zum Rätseln. Ist ein schönes Spiel beim auswärtigen  Essen. Mit meiner Begleitung schaue ich möglichst unauffällig die Leute  an den Nachbartischen an. Dann erzählen wir uns gegenseitig deren Lebensgeschichte. Bei Vincent Klink werden die Sinne und die Fantasie angeregt.

Eine Familie am Fenster sieht aus, als wolle sie zur Versammlung der Kleingärtner. Vater und Sohn tragen Jeans und Karopullover, was in dieser Umgebung exotisch wirkt. Auch Mutter und Tochter sind rustikal gekleidet. Keinen stört es. Nein, die Mutter ist nicht der größte Klink-Fan, die unbedingt mal den TV-Koch  in echt sehen wollte. Dann hätte sie sich rausgeputzt und den Meister um ein Autogramm gebeten. Diese genussfreudige Familie geht nicht in andere Sternelokale, weil sie dort zu viele Snobs vermutet. Am Ende zahlt die Tochter. Sie hat alle eingeladen, weil es etwas zu feiern gibt.

An einem weiteren Vierertisch sitzen Vater und Mutter mit Tochter und deren Mann, der nicht viel jünger ist als der Vater. Die Männer reden, und die Frauen sind vor allem schön. Auch am nächsten Vierertisch befindet sich ein Ehepaar, diesmal mit zwei jüngeren Männern. Ist es der Sohn mit seinem Freund? Oder sind die beiden Brüder? Ein korpulenter Gast ist mit sich allein im Genießen vertieft. Er strahlt die ganze Zeit. Es scheint ihn nicht zu stören, dass er keine Begleitung hat.

 An einem Zweiertisch hat ein junger Mann einer jungen Frau einen Ring überreicht. Ein Heiratsantrag, wie schön! Wenn die beiden nur nicht so enden wie  ein älteres Ehepaar, das sich über Stunden eisern anschweigt. Nur einmal höre ich, wie die Frau etwas sagt. Das klingt zornig. Sie tadelt ihren Mann.

 Es macht Spaß, über die anderen zu lästern. Doch was denken die anderen über uns? Einige überlegen sich bestimmt: Warum schauen sich die zwei ständig im Lokal um, flüstern  und kichern? Und warum blicken die immer wieder belustigt zur Handtasche runter? Haben die noch nie einen Handtaschen-Hocker gesehen? Das  beste Stück einer Frau  – da stecken viele  Geschichten drin. Das Innenleben einer Handtasche bleibt jedoch immer geheim.  Nicht nur das.  Die Gäste der Wielandshöhe lassen, von außen betrachtet, ebenfalls nur Vermutungen zu.  Genuss ist auch eine Frage der Fantasie.

 

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