Vor dem Friedrichsbau Varieté hat jemand ein rotes Herz auf eine Säule gemalt und „LIEBT EUCHT“ draufgeschrieben. Dass sich dies die zerstrittenen Mieter und Vermieter des zirkusähnlichen Rundbaus zu Herzen nehmen, ist eher unwahrscheinlich. Einst schien es, als habe die L-Bank die schöne Rotunde extra für Akrobaten und Artisten erschaffen, weshalb sie für Traditionspflege gelobt wurde – denn hier befand sich das im Krieg ausgebrannte Jugendstilgebäude des alten Friedrichsbaus. Bei der Premiere vor 19 Jahren sah es nach einer Liebesheirat von Geld und Kunst aus. Doch nun haben die landeseigenen Banker die Scheidung eingereicht. Ende 2013 wird dem Varieté der Geldhahn zugedreht.
LIEBT EUCH. Das Varieté, von jeher ein Ort der Träume und Illusionen, wird noch immer geliebt – treue Fans lassen das Haus in schwieriger Zeit nicht im Stich. Geschäftsführerin Gabriele Frenzel kam deshalb auf eine Idee. Freunde der unterhaltsamen Kunst dürfen Stuhlpaten werden. Jeder, der einen Betrag zahlt, dessen Höhe noch nicht feststeht, darf sein Namensschild am roten Stuhl anbringen.
Dem Friedrichsbau – so sieht es auch OB Fritz Kuhn – sollte keiner den Stuhl vor die Tür setzen. „Das Haus bleibt“, hat Martin van Bracht, ein Star der Berliner Varietészene, bei der jüngsten Premiere unter Beifall ausgerufen. Mit seiner irren Truppe, die unter dem Namen Artistokraten (Fotos von Alexandra Klein) mit barocker Lebensfreude und hormonellem Remmidemmi nicht zu bändigen ist, macht er als schräger Fürst die Rotunde zum Lustschlössle. Irgendwie ist es genau so, wie wir uns das ausschweifige Leben der vom Blut oder vom Alkohol blauen Insassen alter Königshäuser vorstellen. LIEBT EUCH. Bei der neuen Show geht es da ziemlich durcheinander. Mann mit Frau, Mann mit Mann, Frau mit Tauerflossen am Seil, Mann mit Torte und alle mit anarchischem Witz. Irgendwann wird uns in diesem Hofstaat, in dem jeder einen an der Klatsche hat, noch ein blanker Hintern gezeigt. Wenn es stimmt, dass Sex sells, dann macht halt grad so weiter.
Aber passt auf, mit wem Ihr „Artistokraten“ anschaut. Es könnte sein, dass da was bei Deiner Begleiterin abfärbt. Unentwegt ruft der Tunten-Fürst „Huldigung“. Deine Liebste könnte womöglich daheim, wenn sie mit dem Staubsauger zu Gange ist, auch dieses „Huldigung“ aus Dir fordern.
Martin van Bracht trägt zwischendurch mal ein bezauberndes Sonnenblumenbikini. Auf den Brustwarzen kleben Plastikblüten. Seine Glatze ist von Gräsern umrankt, wenn er rezitiert: ‚Wenn der holde Frühling lenzt / und man sich mit Veilchen kränzt / Wenn man sich mit festem Mut / Schnittlauch in das Rührei tut/, jegliche Verstopfung weicht / Alle Herzen werden leicht / Und das meine fragt sich still: Ob mich dies Jahr einer will?’“
Die Welt des Varieté ist so bunt wie ein Frühlingsstrauß, und trotzdem scheint es, als erfände das Stuttgarter Haus immer neue Farben. Gerade jetzt, wo das Aus droht, müssen wir Farbe bekennen. LIEBT EUCH. Karten kaufen, Karten kaufen! Also hier könnt Ihr anrufen und welche bestellen: 07 11 / 2 25 70 70. Rettet die schrägen Vögel!