Fernsehunterhaltung kann intelligent und doch locker sein. „Die Moralapostel“ machen’s vor. So heißt der neue SWR-Talk, von dem es bisher nur eine Pilotsendung mit Stefan Siller aus dem Jazzclub Bix gibt. Bitte mehr davon!
Das macht man nicht! Das gehört sich nicht! Hast du denn gar kein schlechtes Gewissen?
Wer von uns schafft es schon, moralisch nicht nur sauber zu sein, sondern immerzu auch rein? Als „Fan von kleinen Notlügen“ hat sich die Unternehmerin Claudia Langer, Gründerin der Internetplattform www.utopia.de, im neuen Talkformat „Die Moralapostel“ geoutet, das beim SWR zur „Orientierungshilfe“ der Zuschauer getestet wird.
Und wo geht man am besten mit einer Sendung hin, die den Umgang mit Moral auch mal ironisch bricht, was der neue Fernsehmoderator Stefan Siller (wir kennen ihn seit Jahren aus der Radiosendung „SWR 1 Leute“) vorzüglich beherrscht? Man geht in ein Viertel, das Moralaposteln ein weites Betätigungsfeld garantiert- dicht ran ans Rotlicht der Stadt. Der Jazzclub Bix im Gustav-Siegle-Haus erweist sich als geeignete Kulisse, die schwere Themen gleich viel leichter macht – auch dank der musikalischen Zäsuren von Mini Schulz und seiner Band Die Bix Apostel
Wenige Meter weiter bieten sich Mädchen aus östlichen Staaten für 30 Euro an. Viele von ihnen werden von ihren Müttern begleitet und sind schwer traumatisiert. Sabine Constabel vom Prostituierten-Café La Strada hat davon in diesen Tagen vor der Kamera des Filmemachers Rosa von Praunheim berichtet (er dreht gerade einen Film über Wirtin Laura). Und kurz danach kommen bereits die nächsten Kameras in die Leonhardstraße, um Menschen aufzunehmen, die Sinn, Werte und Glauben vermitteln sollen – in einem Viertel, das Doppelmoral anzieht.
Doppelmoral ist nicht die Verdoppelung des Guten, sondern der Verrat an Moral.
Stefan Siller, 63, hat ein munteres Expertentrio um sich versammelt, das mit Witz und Leidenschaft moralische Fragen der Zuschauer beantwortet. Mit Claudia Langer, 46, am runden Tisch : die „Zeit“-Kolumnistin und Pfarrerin Petra Bahr, 47, die mit der Sinnsuche schon am Kühlregal beginnt, und Philipp Hübl, 38, der Juniorprofessor für Theoretische Philosophie an der Uni Stuttgart, der nicht ganz aufs Fliegen verzichtet, dafür aber an Öko-Initiativen spendet. Der Herr Professor ist der Bruder des Topmodels Johannes Hübl und selbst schön. Würden wir das über eine Frau schreiben, wär’s moralisch angreifbar. Man sollte Frauen nicht mit Äußerlichkeiten erklären. Und wie ist das bei Männern?
Zu sehen ist der Schöne und Kluge an Pfingstsonntag um 11.45 Uhr . Wie soll eine Pilotsendung zu dieser ungünstigen Zeit Quote machen und damit ihren Fortbestand sichern? „Die Moralapostel“, liebe SWR-Chefs, gehören dringend ins Abendprogramm! Die Sendung bietet Unterhaltung mit Haltung – sie ist Werbung ohne erhobenen Zeigefinger für eine solidarische Welt.
Behandelt wird etwa die Frage: Sind Vegetarier die besseren Menschen? Ist der Erwerb eines Hähnchens für 3,50 Euro moralisch verwerflich? Aus artgerechter Haltung stammt es bestimmt nicht.
Es sind Themen des Alltags, die jeden betreffen. Von der Mir-Ist-Alles-Egal-Haltung verabschieden sich zum Glück immer mehr. Dabei ist es so leicht, von eigenen Unzulänglichkeiten abzulenken und sich die wahren Feinde der Moral vorzuknöpfen. Steuersünder! Diese verdammten Steuersünder! Einer wie Uli Hoeneß landet schnell am Pranger. So asozial können wir doch gar nicht sein! Haben wir etwa 20 Millionen, die wir in der Schweiz verstecken können? Überhaupt diese Männer vom Fußball! Mario Balotelli hatte den Spielern von Real Madrid versprochen, sie dürften alle mit seiner Freundin schlafen, wenn sie ins Champions-League-Finale kommen. So ein verdammter Macho! Das hat er nun davon. Die Spanier haben das Finale verpasst, und Balotelli hat keine Freundin mehr. Ist alles weit weit weg von uns.
Und doch zucken wir bei den „Moralaposteln“ mehrmals innerlich zusammen. Wir hätten nicht mit dem Auto zum Jazzclub Bix fahren sollen, sondern mit der Stadtbahn. Und nach der Aufzeichnung ist die Currywurst beim Brunnenwirt gestrichen. Die ist bestimmt nicht Bio. Sind wenigstens Pommes mit Ketchup noch drin?
Vielleicht stammen die ja von glücklichen Kartoffeln. Die lassen wir uns noch schnell schmecken und retten danach die Welt.