Keiner weiß so genau, wie viele Fans sich am 7. Dezember 1982 in den nahezu sauerstofflosen Kellerclub Oz drückten, um ein britisches Synthie-Pop-Wunder zu erleben. Amtlich waren so etwa 300 erlaubt. Wenn man hört, wie viele noch heute von ihrem ersten Mal mit Depeche Mode schwärmen (etwa im Stuttgart-Album auf Facebook), müssten es mehrere Tausend gewesen sein. So viele gingen natürlich gar nicht rein. „Auf den Treppen standen die Leute bis oben hin“, erinnert sich der damalige DJ Zeljko Sajko.
Die Karte kostete 15 Mark (inklusive 6,5 Prozent Mehrwertsteuer), als Depeche Mode wie Bubis aussahen (Foto oben). Am kommenden Montag zahlt man für einen Sitzplatz in der noch nicht ganz ausverkauften Mercedes-Benz-Arena 84,25 Euro. Erwartet werden 40.000 Fans. Was hat sich noch geändert in 30 Jahren?
Seit er sich nicht mehr die Haare färbe, hat der heute 51-jährige Sänger David Gahan im Interview mit „Reader’s Digest“ gesagt, frage er sich jeden Morgen vorm Spiegel: „Wer ist dieser graue Kerl?“ Die Jugend ist für ihn „wie ein guter Wein, von dem man einmal gekostet hat und den man danach immer wieder und wieder trinken will“.
Richtig gut soll Mister Gahan 1982 den „Wein“ in Stuttgart nicht gefunden haben, wie der Musikmanager Hans Derer weiß, der damals für Intercord arbeitete, für die in Stuttgart ansässige Plattenfirma von Depeche Mode. Der Sänger habe das F-Wort gerufen, weil er das Publikum lasch fand. Die Zuhörer haben’s anders in Erinnerung – im Stuttgart-Album bejubeln sie eine Superstimmung im Oz. Rafael schreibt: „Die waren ja zu viert auf der Bühne. Aber ich habe nur drei gesehen, da einer hinter der Säule stand. Der Laden war gerammelt voll. Deswegen stand ich immer auf derselben Stelle. Erst als sie von der Bühne sind, hab’ ich bemerkt, dass einer mehr gespielt hat.“
Frank verrät uns: „Die haben sich damals im Verstärkerraum die Nasen heftig gepudert.“ Rio-Rapper MC Gringo, der in Stuttgart noch Börni Weber hieß, hat aus Brasilien gepostet: „Da war ich dreizehn und durfte nicht rein – bin davor gestanden.“ Und Holger fand das Konzert „klasse, weil sie das Album ,Speak & Spell‘ praktisch zweimal gespielt haben.“ So groß war das Repertoire noch nicht.
Aber gigantisch war schon damals der Truck, der die Arbeitsmittel der Band brachte. „Die sind mit einem 40-Tonner vors Oz gerollt“, sagt Zeljko Sajko. Der Lastwagen war fast größer als der gesamte Club. Das hat die dortige Fußgängerzone seitdem nicht mehr erlebt. Für den Sänger David musste Zeljko einen speziellen Fisch besorgen. Neben dem DJ-Pult haben dann alle vier für ihn die Single „Just can’t get enough“ unterschrieben (vielen Dank, Zeljko, fürs Foto mit den Unterschriften).
Legendär wie dieser Besuch war der Gig ein Jahr davor von The Cure. Das 1995 nach Drogenproblemen geschlossene Oz galt als erste Adresse. Unvergessen bei den Leuten von Intercord sind die Fußballspiele vor Konzerten: Martin Gore und Andrew Fletcher von Depeche Mode kickten im Innenraum der Halle, während die Roadies die Bühne aufbauten. Da spielte dann England (Musiker) gegen Deutschland (Intercord-Leute), wie dieser Film aus dem Jahr 1986 zeigt.
Schon ein Jahr nach dem Oz-Auftritt ging’s 1983 in die Ausstellungshalle Sindelfingen. Dort entdeckte der Zeitungskritiker eine „neue Mode“ im Publikum: „Wie bei bestimmten Hunderassen hängen die Haare lang wallend vor den Augen.“ Heute ist manche Mähne grau. Na und? Davids „guter Wein“ schmeckt auch dann noch. Just can’t get enough. Man bekommt halt nie genug. Wie beim Trinken sind die alten Jahrgänge eh die besten.