Bitte nicht nachmachen, liebe Erwachsene! Wir sehen auf dem unteren Foto dieser Webseite einen Raum, der sich  mit dickem Qualm  füllt.  Wir sehen einen Mann, der raucht. Männer, die rauchen, haben für gewöhnlich keine gute Presse. Als verantwortungsbewusster Blogger sollte man ihnen grimmig  zurufen: Was Sie da machen, lieber rauchender Mann, ist aktive Sterbehilfe! Das ist Sterbehilfe für sich selbst!

JürgerimnebelUnd ihr fragt euch, was das mit der Blogüberschrift zu tun hat? Nur deshalb habt ihr diesen Text angeklickt. Auf dem Weg zum Bistro Brenner im Bohnenviertel, wo dieses fantastische Qualmfoto entstanden ist, hat’s mir wie ein Refrain im Ohr geklingelt. „Schatzi, blasen, ficken.“  Für die  Trägerinnen von Hot Pants, die mir diese drei Worte zugerufen haben, ist dies, schätze ich mal, der gesamte deutsche Wortschatz. 

Der Mann auf dem Foto, das Silvie Brucklacher-Gunzenhäußer grandios in Szene gesetzt hat,  ist  der Altstadt-Maler Jürgen Leippert. Vom „New Yorker Virus“ hat sich der gebürtige Stuttgarter, der sich selbst unter „expressivem Realismus“ einordnet, jahrelang mit Lust und Leidenschaft anstecken lassen. Es gab Zeiten, da malte er wie besessen in New York und konnte sich eine Rückkehr in die schwäbische Heimat nicht vorstellen. Doch jetzt ist er wieder gern daheim, was nicht nur an seinen Alter liegt, an seinen 68 Lebensjahren. „In New York darf man nicht mal mehr im Central  Park rauchen“, sagt  Leippert voller Unverständnis.    Manch ein Künstler muss auf  Widrigkeiten  stoßen, um  noch besser  als gut zu werden.  Aber  New York macht es ihm dann doch  zu schwer.

Die  Fotografin Silvie  Brucklacher-Gunzenhäußer,  immer auf der Suche nach Stadtoriginalen, stellt im Brenner  gerade ihre „Rotraits“ aus. So nennt sie die Fotoserie, für die sie seit 2003  Gesichter der Stadt vor rotem Stoff abbildet. Mit  Selbstbewusstsein und   Stolz führt sie die  bunte Menschenvielfalt von Stuttgart vor.  Als die Fotografin mal wieder im Brenner vorbeischaute, saß Leippert „zufällig“, wie er sagt, unter seinem Bild. Silvie Brucklacher-Gunzenhäußer  erkannte sofort: Das muss ein eigenes Foto werden.  Sie vereinbarten einen Termin.  Für das Fotoshooting trug er Käppi und Malerkittel wie auf dem „Rotrait“ hinter ihm und  durfte ausnahmsweise auch mal drinnen im Brenner  rauchen. Das gefiel dem Künstler gut.

 

Jeannys zerstörter Sitz am Leonhardsplatz

Jeannys zerstörter Sitz am Leonhardsplatz

Sonst müssen Raucher immer raus. Es sind die Detektive der Stadt, die sich vor den Kneipen versammeln und alles mitbekommen. Was Leippert auf diese Weise in der Altstadt  beobachtet,in der er seit sieben Jahren sein Atelier am Leonhardsplatz 22 hat, gefällt ihm gar nicht.  Junge Mädchen aus Ostblock-Staaten schaffen an, etliche ziehen dafür mit ihrer Mutter nach Stuttgart.  Schon nach wenigen Wochen erkennt der Maler  sie kaum wieder. Auf der Straße  altern die leicht bekleideten Rumäninnen schnell,  die einem „Schatzi, blasen, ficken“ hinterherrufen.  Ihre Gesichter sind von Drogen  gezeichnet. Der Verschleiß ist groß.  Junge Gesichter kommen nach, die nicht lange jung bleiben.  Mit Altstadt-Romantik hat das nichts mehr zu tun.  Die Milieumutti Jeanny, deren  Platz über   Jahrzehnten die  Ecke Leonhard-/Jakobstraße war und die sogar einen eigenen Klappsitz hatte, kommt  nicht mehr. Ihr Sitz ist zerstört. Was für ein Symbol für die ganze Straße: Das „Städtle“ verfällt.  Alles ist sehr trostlos geworden.

 

Von „50 traurigen Metern“ spricht Leippert, wenn es um seine Straße geht.  Früher bezahlte er  seine Miete mit  einem Bild.  Jetzt hat der Besitzer des Eckhauses gewechselt – er will Bares,  Die Stadt nutzte ihr Vorkaufsrecht nicht – ein privater Eigentümer hat das Haus gekauft, das früher wohl laufen konnte, weil man es „Laufhaus“ nannte. Im Erdgeschoss des ehemaligen Puffs befand sich zuletzt eine Galerie, die Ende des Jahres vielleicht zu einem Straßencafé werden soll –  auf jeden Fall „milieufremd“, wie die Maklerin sagt.

Die Wirklichkeit ist zu traurig, als dass Jürgen Leippert sie abmalen wollte. „Du musst die Wirklichkeit im Verborgenen suchen, richtig erkennen und interpretieren“, sagt er . Zum Glückmoment wird es für ihn, wenn er  es schafft, „das  innere Bild, das jeder Mensch in sich trägt, und das äußere Bild in Einklang  zu bringen.“

Als „Lebemann“ wird Leippert manchmal bezeichnet. Als solchen sieht er sich nicht. „Ich bin doch kein Gunther Sachs, kein Playboy“, wehrt der 68-Jährige ab. Doch er versteht es, zu leben.  Er zerbricht nicht an Widrigkeiten. Und irgendwann wird er doch mal wieder nach New York fliegen.  Auch wenn er nicht weiß, ob er eine  so lange Reise ohne Zigaretten überlebt.

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