Die Puppe mit den blonden Haaren und den vorstehenden Zähnen ist nicht zu bremsen. Beim Videoportal You Tube legt sie in einem Drei-Minuten-Film einen so grandiosen Auftritt hin, als wolle sie zum neuen Star der „Muppets-Show“ werden. Die scharfe Nagerin könnte die nicht so dicke Schwester der ebenso forschen Miss Piggy sein. „Ich bin die freche Uschi“, singt die Ratten-Lady vor einem Schild, auf dem „Strange Entertainment“ steht, „ich sag’ euch mal was Neuss.“
Über 10 000-mal ist Uschis Gesang bisher geklickt worden – in den letzten Tagen besonders oft. Denn seit dem 19. September steht Uschi Neuss, 47, nach dem Blitzabgang ihres gefeuerten Vorgängers Johannes Mack-O’Harra, 48, an der Spitze des Musicalunternehmens Stage Entertainment Deutschland – und schon wird die Chefin von 1700 Mitarbeitern als Comicfigur geadelt.
In dem professionell produzierten Film, das unbekannte Scherzbolde mit großem Branchenwissen bei You Tube schon vor einiger Zeit hochgeladen haben, trillert und donnert die Rättin mal mit weiblich-weicher Stimme, mal mit männlich-dominanten Bass: „Ich bin die freche Uschi, das Management im Haus, und jeder lasche Luschi fliegt aus dem Laden raus.“
Lasche Luschis sind die Musiker gewiss nicht, von denen sich der „Laden“ der „frechen Uschi“ trennt. Nach dem letzten Vorhang im Apollo-Theater wird das Orchester des Musicals „Sister Act“ an der neuen Spielstätte Oberhausen deutlich reduziert – wie in vielen anderen Shows auch. Bei den Nonnen sitzen im Orchestergraben nur noch acht Musiker statt zwölf wie in Stuttgart. Kann man da noch von einem Orchester sprechen? Acht bilden ein Oktet, allenfalls ein Garagenorchester, das mit den vielen Einspielungen vom Band künstlich klingt. Noch drastischer kürzt Stage Entertainment bei „Tarzan“. Für das Urwald-Musical werden im SI-Centrum nur noch zehn Musiker beschäftigt – in Hamburg waren es noch 17. „Inzwischen haben die meisten Stadttheater für Musicalshows bessere Orchester als der Marktführer Stage Entertainment“, protestiert Irmgard Tauss von der Gewerkschaft Verdi. Im Netz formiert sich der Widerstand auf der Facebook-Seite „Musicals brauchen Live-Musik“.
Gut, die Stadttheater werden öffentlich gefördert. Die private Stage Entertainment muss alle Gelder selbst erspielen. In Deutschland wird das immer schwieriger. Laut Branchendienst Musicalzentrale ging der Umsatz bei der Stage in der letzten Spielzeit um etwa zehn Millionen Euro zurück, beträgt aber immer noch etwa 290 Millionen Euro. Das Unternehmen selbst nennt keine Zahlen. Flops wie „Rebecca“ haben für geringere Gewinne gesorgt, was wohl für Nervosität in der holländischen Zentrale sorgt. Eigentümer Joop van den Ende ,71, warf vor wenigen Tagen den bisherigen Deutschland-Chef Mack-O’Harra raus, der es gewagt habe, erzählt man sich in Stage-Kreisen, dem „Alten“ zu widersprechen.
Oder hat „die freche Uschi“ wie im bösen You-Tube-Film den „Besen“ alias Mack-O’Harra weggemobbt? Es ist bereits das zweite Video von „Strange Entertainment“ – einst suchte ein abgedrehter Castingdirektor „die klassisch gut ausgebildete Drei-Sparten-Musical-Schlampe“ für die Bereiche „Schwanz, Gesang und Vorspiel“. Uschi Neuss soll einen guten Humor haben, weshalb sie nicht erkennbar wütend sei über ihre Beförderung zur Spaßfigur. Warum sollte sie auch? Was sie geschafft hat, hat bisher nur Karl Lagerfeld vollbracht, von dem es Comic-Puppen gibt. Wer die Vorlage zur Parodie liefert, gehört zu den Großen. Die neue Stage-Chefin könnte also Kult werden. Nur zu! Uschi, gibt alles! Als Freunde des Musicals erwarten wir, dass sie nichts aus der Konserve spielen lässt, sondern wirklich alles live. Nur das Echte siegt auf Dauer und rechtfertigt hohe Preise. Playback ist Gift für das Image eines Musicalunternehmens. Wenn Uschi Neuss nur halb so viel von Show versteht wie die „freche Uschi“ im Netz, wird sie das ganz von alleine wissen. Applaus, Applaus!