Wer hat’s erfunden? Wie kam das Dirndl zu den Schwaben? Ein Besuch dort, wo alles anfing – bei der Party des „Top-Magazins“ in der Grandl-Loge, in der Keimzelle der Trachten-Wasen-Wahnsinns (das Dirndl-Foto hat Wolfgang List gemacht, siehe Blogende).
Es hat was von Fasching. Alle verkleiden sich, was den Verlauf eines Festes in eine ganz bestimmte Richtung treibt. Mit Kostümen traut man sich mehr – schon fällt es leichter, aus der Reihe zu tanzen.
Eigentlich dachte ich, die Sache mit der Tracht ist kein Thema mehr. Geht ja schon viele Jahre so, dass sich Besucher des Volksfestes nach dem Münchner Vorbild beschürzt und hirschledern ins Vergnügen stürzen. Doch dann sah ich im Internet die Reaktionen auf ein altes Wasenfoto von 1960, das im Stuttgart-Album gepostet wurde, auf der Facebook-Seite zu vergangenen Zeiten der Stadt. Auf diesem Foto von 1960 laufen Wasenbesucher an der Fruchtsäule vorbei. Nicht ein Dirndl ist zu sehen, aber so manch einer trägt Anzug. Innerhalb von zwei Tagen hatten 12 000 Menschen dieses Foto geklickt, geteilt und mit etlichen Kommentaren versehen. „Ohne Trachtenhalloween – jepp“, schrieb einer. Und ein anderer notierte: „Auf diesem Foto ist klar zu erkennen, was für eine Tradition der Trend hat, mit dem 30-Euro-Dirndl vom Discounter auf dem Wasen die Wiesn nachzuäffen.“
Spöttische Bemerkungen begleiten die, die sich mit Alpen-Glam aufbrezeln. Was sagt Wasenwirt Hans-Peter Grandl zum Vorwurf, die Dirndl-Masche kopiere das Oktoberfest und sei gar nicht schwäbisch? „Stimmt nicht“, entgegnet er, „die Tracht hat bei Schwaben eine große Tradition.“
Grandl war es, der mit Verlegerin Karin Endress 2000 die erste Dirndl-Party auf dem Wasen feierte. 1999 war er aus München gekommen, wo er auf einer Ochsenbraterei auf der Wiesn sowie in leitender Funktion bei der Olympiapark-Gastronomie gearbeitet hatte. Das Volksfest hatte damals keinen guten Ruf. „Die Brauerei fragte mich, ob ich ein Fest organisieren könnte, um etwas gegen das schlechte Wasen-Image zu tun“, erinnert sich Karin Endress. Auf der Einladung stand: „Bitte kommt in Tracht!“ Die Gäste taten’s zurückhaltend. „Viele trugen gerade mal ein Halstüchchen“, so die Verlegerin. Und heute? Heute mögen sich der Wirt und die Verlegerin ärgern, dass sie keine Provision von Dirndl-Läden bekommen. Heute überbieten sich die Gäste im modischen Mut und in Dekolleté-Offenheit. Die Party des „Top-Magazin“ gilt als Höhepunkt des Wasen-Vip-Treibens. Da will kaum einer fehlen. Gesehen: die ganze Vielfalt von CDU-Landeschef Thomas Strobl bis zum grünen Regierungssprecher Rudi Hoogvliet von Schlagerstar Andrea Berg bis zur früheren First Lady Inken Oettinger, von Musical-Publikumsliebling Kevin Tarte bis zu Kabarettist Christof Sonntag, von Boss-Chef Claus-Dietrich Lars bis zu Edel-Bordell-Boss Jürgen Rudloff.
Und worüber wurde an diesem Abend geredet? Das Dirndl ist hier kein Thema mehr, sondern selbstverständlich. Der Backnanger OB Frank Nopper (CDU) machte sich Gedanken zum Fassanstich. Dass der grüne OB Fritz Kuhn ausgepfiffen wurde, gefiel ihm nicht. Die Eröffnung sollte von Freitagabend wieder auf Samstagvormittag verlegt werden, findet er. Wirtin Laura Halding-Hoppenheit erzählte, dass sie mit Pompöös-Designer Harald Glööckler das Einheitsfest in Stuttgart besucht. Rudloff machte Werbung für seinen Gentleman-Club auf Sylt, sein neues Edel-Bordell in einem früheren Kino, das Unternehmer Rolf Deyhle gehört. Und Wahlgewinner Stefan Kaufmann (CDU) rechnete hoch, dass er in diesem Jahr 14 Wasen-Partys besucht.
Aber Herr Kaufmann, der Wahlkampf ist vorbei! Den Wahlkampf auf dem Wasen hat längst die große Koalition aus Dirndl und Lederhose gewonnen. Die Münchner vom Oktoberfest müssen sich bald was Neues einfallen lassen, weil die Schwaben sie mit Frohsinn überholen.
Auf dem Blogfoto von Wolfgang List (von links): Elke Röhrle (Lebensgefährtin von Hansi Müller), Sonja Schmidt (Ehefrau des VfB-Aufsichtsratsvorsitzenden), Schlagerstar Andrea Berg, Verlegerin Karin Endress, Designerin Kinga Mathe und die frühere First Lady Inken Oettinger