Wie spießig war Stuttgart früher? In einem alten Buch von Thaddäus Troll findet sich das Lebensgefühl der späten 1960er. Die Klischees über Schwaben haben Tradition.

 „Die Basis des Optimismus ist schiere Furcht“, hat Oscar Wilde gesagt, der, nach allem, was wir wissen, Stuttgart nicht persönlich kannte, schon gar nicht die Stadt am Ende der 1960er Jahre. Furchtlos  bin ich in einem Buch aus dem Jahr 1969 auf folgenden Satz gestoßen: „Vergnügtes Stuttgart –  das ist eine arg optimistische Formulierung.“

 Ein Vergnügen ist es, in dem alten Bildband mit diesem Satz zu blättern. Das Cover besticht durch Verzicht. Es ist ganz in  Weiß gehalten –  ohne  Bild. Nur drei Worte finden sich in schwarzer Schrift darauf: „Thaddäus Troll Stuttgart“.

 

Seiten aus dem Buch von 1969

Seiten aus dem Buch von 1969

Der große  Thaddäus Troll,  der im kommenden März 100 Jahre alt geworden wäre, befasst sich in diesem Buch aus dem Belser-Verlag mit seiner nicht in allen Belangen geliebten Heimatstadt. Von Rolf Heerbrandt  habe ich dieses Buch bekommen. Es ist 44 Jahre alt, und man staunt, wie sich die Stadt in 44 Jahren verändert hat. Ach, wie spießig und verklemmt, wie schaffig und langweilig, wie geordnet und mit verengtem Horizont muss Stuttgart mal gewesen sein. Die Vorurteile hallen bis heute noch nach. Noch immer sehen uns viele in der Republik so, wie wir damals von einem der Unsrigen dargestellt worden sind.

 Aber was heißt hier Vorurteile? Ein so herausragender Autor wie der Cannstatter Thaddäus Troll hat nicht Gemeinplatz an Gemeinplatz aneinandergefügt, sondern wortreich das Typische von Stuttgart aufgespießt, wie es damals wohl war.

 Vieles hat sich seitdem geändert, doch vieles  auch nicht. „Zäh sind in Stuttgart die Widerstände gegen Neuerungen“, schreibt Troll, „Druck erzeugt Gegendruck, im Stadtrat, im Vorstand, in der Lokalredaktion. Das Neue, welches das Alte zu überwinden trachtet, und das Alte, das sich schwäbisch zäh dem Neuen entgegenstellt.“ Von Stuttgart 21 kann der Autor nichts gewusst haben. Er meint den Kleinen Schlossplatz. „Dieser Platz braucht sicher noch ein paar Jahre fremden Lobs“, steht in dem Buch, „bevor er von der Bevölkerung mit schwäbischem Stolz angenommen wird.“

Das Wort Ländle mochte Troll nicht. „Das angehängte Diminutiv le“, schreibt er, „zieht das Erhabene ins Lächerliche.“ Stuttgarter seien „eher rechtschaffen als kurzweilig, eher isolierend als gesellig“. Das Vergnügen kapsele sich in dieser „soliden Stadt der Frühaufsteher“ ab. Troll kommt zu dem Schluss: „Stuttgart ist hählinge lustig“, also nur heimlich amüsant. Aber immerhin! Man muss halt nur richtig hinschauen!

Die Basis des Optimismus ist schiere Furcht. Nicht mal Thaddäus Troll, der sich vor 33 Jahren das Leben nahm,  hätte sich davor fürchten müssen, dass man sich heute über seine Beschreibung der Stuttgarter Bohnerwachs-Verhältnisse amüsiert.

 Es darf ja auch was besser werden in 44 Jahren! Dazu hat einer wie Thaddäus Troll mit seiner bissigen Kritik beigetragen. Oft hören wir, dass die Stadt als Bau­stellenmetropole ihr Gesicht laufend verändert. Aber auch in den Köpfen der Bewohner muss sich einiges getan haben. Schwäbischer Stolz mag sich weiterentwickelt haben. Das hiesige Vergnügen auch. Aber  auch ein internationales Gefühl ist entstanden. Wir haben also Grund für  Optimismus.

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