Neun Jahre bleibt alles krumm, aber dann macht’s bumm! Im Menschenleben ist ein runder Geburtstag eine Zäsur. Bei manchen fängt das Dilemma schon beim 30. an, während sie später beim 60. alles nicht mehr so schlimm finden. Bei anderen ist der 50. ein Wendepunkt. Das Wesentliche steht fest, der Charakter ist gefestigt. Aber es ist nicht zu spät für was Neues. Noch einmal treibt einen die Neugier an.
Die heute 50-Jährigen kamen zur Welt, als Siv Malmquist mit „Liebeskummer lohnt sich nicht“ die Hitparade anführte. Wie oft haben wir schon vom Geburtsjahr der Babyboomer gelesen. Nie zuvor und nie danach wurden in der deutschen Nachkriegsgeschichte mehr Kinder geboren als in jenem Jahr 1964. Es waren exakt 1 357 304 Jungen und Mädchen, von denen hoffentlich viele in diesem Jahr 2014 wie Hape Kerkeling, Jürgen Klinsmann, Henry Maske und Heike Drechsler ihren 50. Geburtstag erleben und feiern. Manche sind in Teilen noch gar keine 50, weil sie mit dem Älterwerden so große Probleme haben, dass sie sich dem Chirurgen zum Fraß vorwerfen. Dabei sind es doch gerade die Faltenwürfe des Lebens, die einzigartig machen. Die ewig Glatten, das sind die Langweiler. Ihnen fehlen die Spuren. Was ist ein Babyboomer, der sich hat liften lassen? Ein falscher Fuffziger.
Schauen wir aber nicht nur auf die Kinder des Jahres 1964, auf die Alt-64er. Es gibt so viele runde Jubilare, die es noch höher hinaus geschafft haben. In Stuttgart können in Kürze Torten ausgeblasen werden, für die man einen sehr langen Atem braucht. Hier ein kleiner Überblick:
Am 15. April wird George Bailey, eine lebende Legende am Klavier des Stuttgarter Balletts, 70 Jahre alt.
Am 19. April wird Günter Lemme, der Maler und Dichter vom Hasenberg, 80.
Am 21. April wird Johannes Kuhn, der frühere Rundfunkpfarrer und langjährige Kolumnist von „Sonntag Aktuell“, 90.
Am 25. Mai wird Walter Schultheiß, der große Schwabe und Schauspieler, 90.
Es sind lauter feine Herren im besten Sinne, die Stadtgeschichte in Stuttgart mitgeschrieben haben.
Die Rundflüge gehen gerade so weiter. Den 60. Geburtstag feiern in diesem Jahr: Dieter Bohlen, Angela Merkel, Toni Schumacher, John Travolta, Eva Mattes, Roland Baisch. 70 werden Joe Cocker, Wolfgang Joop, Michael Douglas, Jimmy Page, Diana Ross. Und das achte Jahrzehnt vollenden: Giorgio Armani, Brigitte Bardot, Udo Jürgens, Alfred Biolek, Leonhard Cohen, Sophia Loren, Nana Mouskouri.
Es gibt Seiten im Internet, auf denen man blitzschnell nachlesen kann, wer zu den runden Jubilaren gehört. Was man nicht nachlesen kann: Wie kommt jeder einzelne damit zurecht? Aber wir sehen: Früher oder später wird jeder zur runden Ankunft landen. Je höher wir auf der Lebensleiter steigen, desto dankbarer können wir sein. Mit 20 halten wir uns für unsterblich, mit 30 fühlen wir uns zu stark zum Absturz, mit 40 ahnen wir, dass noch was kommt, was den Spaß raubt. Mit 50 versucht man, das Beste daraus zu machen. Mit 60 tun viele alles, um den Tod zu ignorieren. Wie gut, dass uns ein 80-Jähriger erklären kann, dass mit 66 erst das Leben anfängt.
Als vor zehn Jahren Walter Schultheiß 80 wurde, bat er mich im Interview, kein großes Aufheben um seinen Geburtstag zu machen. Seine Begründung leuchtete ein: „80 Jahre ist kein Alter – also für eine Kathedrale nicht.“
Seine Antwort weist den Weg. Wann immer jemand dich auf dein ständig steigendes Alter anspricht, musst du schlagfertig von diesem Thema ablenken. Wer nicht unentwegt an sein Alter denkt, befindet sich in seiner besten Zeit. Dann lebst du so intensiv, dass es um Wichtigeres als um eine schnöde Jahreszahl geht.