An Tagen wie diesen spielt das Leben verrückt. Am Donnerstag beginnen die Tage, an denen ein Massenereignis auch den zwischenmenschlichen Bereich steuert. In normalen Zeiten rangieren bei Männern Fußball und Sex so etwa gleichberechtigt nebeneinander. Sobald ein WM-Ball rollt, ist völlig klar, was die Nummer eins ist.
Das andere kann warten. Und muss es bei den Spielern von Mexiko auch. Deren Teamchef Miguel Herrera war der erste, der ein Sexverbot für sein Team verhängte. Der Zusammenhang von Enthaltsamkeit und einem erhöhten Aggressionspotenzial wird seit dem Wunder von Bern erörtert. Der brasilianische Trainer Luiz Felipe Scolari hat die Debatte nun um eine neue Variante erweitert. Normaler Sex gehe in Ordnung, teilte er seinen WM-Spielern mit, „Akrobatik-Sex“ aber sollten sie vermeiden, um die Verletzungsgefahr niedrig zu halten.
Wo normaler Sex aufhört und die Grenze zu akrobatischer Leistung beginnt, mag vom Alter der Beteiligten abhängen und von ihrer Fähigkeit, Sehnen, Bänder und Muskeln zu dehnen. Sabine Wittmann (32) setzt sich als Coach und „Berührungskünstlerin“ dafür ein, dass der Sex, wie artistisch er auch immer betrieben wird, vor allem eines ist: gut.
In Stuttgart hat sie das Institut für sexuelle Bildung gegründet, weil sie glaubt, dass nicht alle von uns Naturtalente sind, sondern zur sexuellen Erfüllung noch dazulernen müssen. Deshalb hält sie Vorträge zu Themen wie „Guter Sex ist kein Zufall“ und bietet Workshops an, um zu zeigen, wie man mit Zärtlichkeit auch die Seele berührt. Ihr nächstes Seminar in Stuttgart findet bei Frau Blum statt, der etwas anderen Erotik-Boutique, die im Westen an der Reuchlinstraße 11 von zwei Frauen (Piechowski-Foto oben) geführt wird. Dafür haben diese den 27. Juni ausgewählt. Es ist fast der einzige Tag bei der WM, an dem kein Spiel ist. Wenn das kein Timing ist!
Ob beim Fußball oder Sex – mit Leidenschaft geht alles besser. Leidenschaft ist nicht mehr ein Privileg der Männer. „Die Zeiten, wo nur die Männer Fußball schauten, sind lange vorbei“, sagt Mascha Hülsewig, eine der Chefinnen von Frau Blum, „seit unsere Söhne bei den Bambini gekickt haben und letztendlich seit der WM 2006 sind wir Frauen genauso begeisterte Fans.“ Deswegen plädiert sie für vollen Einsatz: „In den nächsten Wochen schauen wir Fußball – und zwar richtig!“ Wenn erst mal die Stimmung bestens sei, gehe alles Weitere von allein.
„Da braucht es keine Tricks, nur ein bisschen Verführung“, findet Mascha Hülsewig: „Manchmal kann Sex auch wie ein Salamibrötchen sein, einfach mal so zwischendurch – ist auch lecker.“ Sex sei ein Bedürfnis wie Essen und Trinken. Sex könne unglaublich aufregend, fantasievoll und opulent wie ein Galadiner sein – aber zwischendurch auch unspektakulär.
Beraterin Sabine Wittmann stuft Sex als „Erholungsquelle“ ein, wie sie mir am Telefon sagt. Sie will mithelfen, dass „neue Empfindungen entdeckt und wahrgenommen werden“. Bei ihren Seminaren will sie die „sexuelle Identität“ und das Selbstbewusstsein ihrer Teilnehmern stärken und mit ihnen zu einer „neuen erotischen Entdeckungsreise“ aufbrechen. Berührungskunst, lehrt sie, ist „keine Technik aus raffinierten Griffabfolgen“. Es gehe um die Wahrnehmung: „Raus aus dem Kopf, rein ins Gefühl.“
Am Donnerstag beginnt die WM. Ist das nicht die Höchststufe an Gefühl? Dass es nicht ohne Berührung geht, führen die Spieler nach jedem Tor vor. Es kommt auf die Taktik und das Timing an. Dann findet sich in unserem Kühlschrank bestimmt noch ein Salamibrötchen.