Schon lange hatte er nicht mehr in Stuttgart geschäftlich zu tun gehabt und sah auch sonst keinen Grund für einen Besuch bei uns. „Respekt“, sagte der Mann aus Mainz nach längerer Abwesenheit und  wollte wohl zu einem Lob ansetzen: „Eure Stadt ist wirklich einzigartig!“

Freut uns  immer, wenn Auswärtige unser Stuttgart gut finden. Was    gefiel ihm besonders? Das viele Grün in der Stadt? Unsere Hügel mit den tollen  Ausblicken? Das Porsche- oder  Mercedes-Museum? </p><p>Aber nein, nichts von alledem. Auch die Stäffele oder das Mineralwasser hatten es ihm nicht angetan. Der  Mann aus Mainz, den ich bei einem Termin   traf,    ernannte Stuttgart zur Hauptstadt der Zäune!   Am  kaum noch frei zugänglichen Hauptbahnhof war er angekommen und mit einem Taxi  zum Österreichischen Platz zwecks dienstlicher Pflicht  gefahren. „Ihr seid die Zaunkönige der Nation“,  sagte er, „wann nehmt ihr den Zaun ins Stadtwappen?“

Zaun1Es war ein Wink mit dem Zaunpfahl.  Innerlich  fuhr ich die Strecke ab,  die er  vom Taxi aus gesehen hatte. Im Hauptbahnhof  ist die Ankunft  nach hinten gerückt, weil  der vordere Teil der Gleise  für Stuttgart 21  von Bauzäunen  abgesperrt ist. Man muss nun weite Wege zurücklegen, was die vielen kleinen  Ladenboxen  der Bäcker, Metzger und Co.   erklärt, die  neuerdings  an den provisorischen  Gleis­enden auf Kundschaft warten.    Der erheblich  verlängerte Fußmarsch strengt an – man sollte also  Kraftnahrung kaufen.

Draußen vorm Schlossgarten ist der Zaun  – das  oft verwendete Wort   Einfriedung  passt  hier  nicht!  –  bereits vollgepinselt. „Scheißgrube 21“ steht drauf.

 Weiter Richtung Süden  verdeckt ein Bretterverhau   den  Landtag, obwohl der nicht tiefer gelegt wird.  Das Hochhaus am Charlottenplatz  ist von Zäunen umgeben, die Brache quer gegenüber ebenso, auf der zwischen  Breuninger und Hotel Silber noch ein weiteres Shopping-Center entsteht.   Zäune, überall Zäune. Die Besucher der Stadt werden zu Zaungästen.

Wo gehobelt wird, fallen Späne. Wo gebaut oder umgebaut wird, da stehen Zäune.  Und je länger sie stehen, desto bunter werden sie.  Schüler waren beim Landtag auf der  Seite zum Park  am Werk.  Kann Liebe Sünde sein oder eher Kunst?  Die Umzäunung     wird zur Leinwand, auf der eine Schwarzwald-Lady  mit Bollenhut  einen langmähnigen  Mann  mit nicht so klar definierbarem Hut küssen will.

Es gibt  so viele Zäune. Den Jägerzaun, den Elektrozaun, den Maschendrahtzaun. Der Bauzaun muss  verdecken, weshalb man auf der Fläche dazu etwas schreiben oder malen kann. Nicht immer sieht das so gut aus  wie die Schwarzwald-Schülerarbeit.  Oft ist’s ein Gesudel, das nervt.

„Eltern haften für ihre Kinder“, steht auf  Bauzäunen. Doch wer haftet für die Architektur, die dahinter entsteht? Nicht immer wird das Neue besser.

Zäune, überall Zäune. Es sind so viele in der Stadt, dass wir  befürchten, lange schon tot zu sein, bevor  Stuttgart zaunfrei ist.  Kaum einer wird alles  mitbekommen, was da  freigelegt wird,  sollten die Zäune eines Tages wie die letzte Hülle einer Stripshow nach viel zu langem  Hinauszögern doch noch  fallen.

Immerhin sind wir Könige. Zaunkönige! Im Naturreich ist der Gartensänger   bekannt für sein kräftiges und lautes Organ.  Einst wurde er  als  Ziervogel im Käfig gehalten, weil  er     pflegeleichter ist als die Nachtigall. Laut sind in Stuttgart die Gegner von  Bauzäunen für den Tiefbahnhof gewiss. Aber pflegeleicht? Wird gar etwas ganz anderes  gebaut, was kein Demonstrant  ahnt? Die Zaunstadt 22?  Vielleicht  werden  riesige Zäune  weit vor Stuttgart gebraucht,  ringsherum,  damit kein nörgelnder Mainzer  reinkommt.

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