Vor gut zehn Jahren, erinnert sich Wolfgang List, Chef der Agentur Perfectfotos, konnte es sein, dass er in der Volksfestzeit am Abend einen Anruf bekam und ihn jemand ganz aufgeregt alarmierte: „Komm schnell! Roberto Blanco ist da!“ Dann raste er daheim in Ludwigsburg los, um eine Seltenheit festzuhalten: einen Promi auf dem Cannstatter Wasen!
Und heute? Heute haben die Festwirte Abend für Abend mindestens drei eigene Fotografen engagiert, um jede mehr oder weniger bekannte Nase umgehend abzulichten und sie kurz darauf auf den Bildschirmen im Zeltinneren zu zeigen.
Die Promi-Galerie scheint endlos. Von Sami Khedira bis Oliver Pocher– alle waren auf der Festwiese am Neckar schon da. Und es werden noch viele kommen. Was heißt eigentlich VIP auf Schwäbisch?
Ein bekannter Caterer hat mir bei der Wasenparty des „Top-Magazins“ im Hofbräu-Zelt von Hans-Peter Grandl den Begriff übersetzt : „Die Onnötige“. Es seien hier viele „Onnötige“ versammelt, stellte er fest, sich selbst rechnete er auch dazu, also jede Menge Kommunalpolitiker, Wirtschaftsbosse, Vorstandsmitglieder, Society-Größen, Schlossherren, Adlige, Bestsellerautorinnen vom Bodensee und so weiter. Bis zum 12. Oktober, bis zum Wasen-Ende, geben die Bändelträger Gas, und man fragt sich, ob das alle heil überstehen. Denn es finden an jedem Abend mehrere Logenpartys parallel statt. Je „onnötiger“ einer ist, desto bunter ist sein Handgelenk mit Plastik- oder Stoffbändel, desto kostenloser kann er sich durchschunkeln.
Boa-Chef und Ober-Karnevalist Werner Find etwa hatte am Montagabend fünf Einladungen. Da musste er sich atemlos von einem Zelt zum anderen zappen. Egal, wo er auch hinkam – der Hit „Atemlos“ von Helene Fischerwar schon da. Beim Frühlingsfest hatte es Ehren-Oberkübler Robert Kauderer mit seiner Forderung, „Atemlos“ zu verbieten, weil dieser Hit den größten Lärm mache und die Anwohner am meisten nerve, bundesweit in unzählige Zeitungen geschafft und sogar in eine Fernsehnachrichtensendung. Doch Kauderers Protest verfehlte sein Ziel: „Atemlos“ hat laut Hofnarr Luigi, dem Entertainer auf der Grandl-Bühne, mit „Ein Hoch auf uns“ die besten Chancen, der Wasenhit des Jahres 2014 zu werden. Außerdem gut im Rennen: der politisch unkorrekte „Gaucho-Song“. Weil damit die tanzenden Fußball-Weltmeister in Berlin aneckten, sind die Voraussetzungen für einen Bierfest-Knaller ideal.
Manche tragen ihre Sesam-öffne-dich- Bändel stolz wie eine Rolex. Auf einer Party fehlt kaum einer, der zu Stuttgarts Society zählt: Zu „Top-Magazin“-Verlegerin Karin Endress wollen alle. Sie war es, die vor 15 Jahren die allererste Trachtenparty auf dem Wasen bei Grandl feierte und damit einen Trend setzte, der mit voller Wucht eingeschlagen hat. Jetzt gibt es noch einen Grund weniger, nach München zu fahren. Bierfest-Fasching haben wir auf dem Wasen selbst. Musicalstar Kevin Tarte war trotzdem auf der Wiesn. „Dort kann man die Uhr danach stellen“, berichtet er bei der Party des „Top-Magazins“ am Stehtisch mit Bandleader Berti Kiolbassa, „jede Stunde läuft ,Atemlos‘.“ Es ist ein Lieblingssong auf Bierbänken. Schon singt er los: „Atemlos, schwindelfrei, großes Kino für uns zwei.“ Aber Vorsicht! Wer zu atemlos säuft, könnte am Ende gebeugt nach Hause wanken, ganz so, wie dies angeblich die Gauchos tun.