Mit der Überschrift „Das entfesselte Krokodil von der Rückbank“ schreibt Andrea Jenewein in den „Stuttgarter Nachrichten“ über das Buch „Liebe, Tanz und Bretterbuden“:
„Erinnerungen, Emotionen, Erlebnisse – so preist der Klappentext das Buch an. Das klingt wie „Menschen, Tiere, Sensationen“. Also nach großem Zirkus. Nach großem Spektakel. Und tatsächlich, im jüngsten Buch von Uwe Bogen geht es denn auch genau darum: also um Menschen, Tiere und Sensationen. Doch die Geschichten und Anekdoten aus Stuttgart kommen so leise daher wie die Löwen und Tiger in Harry Piels gleichnamigen Film.
Sensationen bietet das Buch. Aber kein großes Spektakel. Egal ob es in den Geschichten des Autors und StN-Redakteurs Uwe Bogen um das Wasser aus Indien geht, mit dem der Zauberer Kalanag wochenlang im Metropol die Massen begeisterte. Oder darum, wie der Ballettintendant John Cranko ein Tanzwunder schaffte. Oder um die Frage, was von der Liederhalle übrig blieb, nachdem Jimi Hendrix dort das erste Rockkonzert gegeben hatte. Bogen schreibt sachlich und fundiert statt reißerisch und kühn – und gerade deshalb sind seine kleinen Anekdoten pointiert statt provinziell.
In den „Richtlinien für Tänzerinnen“, die der Varieté-Verband 1961 beschlossen hatte, heißt es: „Das Publikum darf nicht zum Öffnen der Reißverschlüsse aufgefordert werden.“ Mit dieser amüsanten Detailinformation spickt Bogen sein Kapitel über die Vereinigten Hüttenwerke, ehemals eine Ansammlung von Behelfsläden und -wohnungen, die zum Amüsierviertel wurden.
Der Autor Bogen hilft jedoch allen möglichen Menschen aus den Hosen, um Erinnerungen aus dem Leben der Stadt freizulegen. Und mögen diese auch peinlich sein. Wie die über Stuttgarts ehemaligen Oberbürgermeister Arnulf Klett, der Journalisten einst zu Rundfahrten mit Strip-Besichtigung bat. „Was die Herren Redakteure nicht wissen: Mit schwäbischer Sparsamkeit hat das Rathaus zuvor die Nachtclubs zu Sonderpreisen genötigt.“
Doch nicht nur zur Unterhaltung dienen die Geschichten. „Erinnerungen sind das Fundament der Zukunft“, schreibt Uwe Bogen im Vorwort zu seinem Buch. „Was früher war, macht vieles von heute verständlich. Wer die Geschichte kennt, die Debatten und Dramen von einst, die Liebe und Tänze vor Jahrzehnten, kann seine Stadt noch besser begreifen.“ So erklärt das Kapitel über das Mineralbad Berg eindrucksvoll, warum um die Zukunft des Bads im Jahr 2011 mal wieder heftig gestritten wird. Auch auf altbekannte Anekdoten stößt man in dem Buch von Uwe Bogen freilich, doch sind auch diese immer wieder erinnerungswürdig und lesenswert, zumal sie mit historischen Fotos dekoriert sind. Gerhard Goller etwa, der über Jahrzehnte Leiter der städtischen Gaststättenbehörde war, hat etliche Fotos beigesteuert, etwa von den den Vereinigten Hüttenwerken. „Damals gab es keine Parkschützer wie bei Stuttgart 21“, sagt Goller, „die den Abriss der Vereinigten Hüttenwerke, einem Stück der Stuttgarter Subkultur, verhindern wollten.“
Und wo sind nun die Tiere, die versprochen wurden? Ein Kapitel des Buches handelt von Albert Schöchle, dem ehemaligen Wilhelma-Chef. Dieser, so schreibt Uwe Bogen, fuhr eines Tages mit einem Mitarbeiter nach Karlsruhe, um das Krokodil namens Fritz abzuholen. „Für den Transport nach Stuttgart banden die beiden Fritz das Maul zu und stülpten ihm einen Sack über. Dann legten sie Fritz auf den Rücksitz des Wagens und fuhren los“, schreibt Uwe Bogen. Der Leser ahnt: Das konnte nicht gutgehen. Und wahrlich, auf der Fahrt befreite sich Fritz erst aus dem Sack, dann auch vom Seil.Obdie Geschichte trotzdem ein glückliches Ende fand? Das darf an dieser Stelle nicht verraten werden. Schließlich kann man dem Kollegen nicht die Pointe wegnehmen. Und dem Leser nicht das Erlebnis, wie Erinnerungen, wenn gut beschrieben, zu einem emotionalen Erlebnis werden können.“