Das liebste Weihnachtsgeschenk der Deutschen ist das Buch. Aufs Fest können sich Buchhändler freuen, trotzdem jubeln sie nicht. Die Online-Konkurrenz ist zu groß. Mit neuen Ideen halten Buchläden dagegen. Zum Start der Aktion „Ich bin ein Buchhandlungsretter“ hat sich das Team des Stuttgart-Albums auf eine Rundfahrt zu Hütern des Worts begeben.
„Du öffnest die Bücher, und sie öffnen dich.“ Mit schwarzer Schrift auf rotem Grund hängt Aitmatovs Plädoyer fürs Lesen an der Fassade des Ladens Buch im Süden, auf den Heslacher Bihlplatz gerichtet, wo samstags Wochenmarkt ist. So bunt und frisch draußen das Sortiment der Obst- und Gemüsehändler ist, so vielfältig ist drinnen bei Buchhändlerin Beate Hiller die Welt der gedruckten Gedanken. Die ältesten Vorläufer des Buches waren Papyrusrollen der Ägypter. Ein altes Medium, das schon immer dem Wandel ausgesetzt war. Zerstört dieser Wandel es am Ende noch?
Auch wenn der Dichter in seiner Lobeshymne aufs Buch ans Öffnen denkt, ist, wenn es ums Buch geht, längst das Schließen zum vorherrschenden Thema geworden. Immer mehr Buchhandlungen machen dicht. 600 Buchläden gibt es noch in Baden-Württemberg – 300 weniger als noch vor drei Jahren. Die Buchhandlung in meiner Nachbarschaft musste vor sechs Monaten dran glauben. Der Laden steht seitdem leer. Wenn ich früher schnell noch ein Geschenk brauchte, habe ich dort immer was gefunden. Heute wird es halt die Flasche Wein, wenn nicht viel Zeit bleibt.
Wie froh bin ich, was ich mit meinen Co-Autoren Manuel Kloker und Thomas Wagner bei der Rundfahrt des Stuttgart-Albums zu sieben Stuttgarter Buchhandlungen erlebt habe. Vor den Buchregalen stehen Menschen mit Leidenschaft, die tolle Ideen haben und viel Schwung, damit die „Wohlfühlorte“ bleiben, wie Verleger Titus Häussermann, der Vorsitzende der Verlegerausschusses im Deutschen Börsenverein Baden-Württemberg, Buchhandlungen nennt.
Ja, Herr Häussermann, in Möhringen gibt’s gleich zwei Wohlfühlorte! Die Buchhandlungen Ebert und Pegasus! Wie herrlich es im Buchladen Pegasus von Sabine Braun duftet! Schon lange verkaufen Tankstellen nicht nur Benzin, und viele Buchhandlungen der neuen Zeit können allein mit gedruckter Ware nicht überleben. Die Pegasus-Chefin verkauft Kerzen, die diesen Wohlgeruch verbreiten. Es gibt bei ihr Geschenke aller Art, sie stellt zu Kochbüchern, in denen es um Pasta geht, gleich echte Pasta zum Kaufen dazu. Das Ambiente, sagt sie, sei wichtig. Man dürfe die Wege nicht mit Büchern zustellen, sondern müsse Platz zum Atmen und Schauen lassen. Gute Buchhändler sind wahre Entertainer, wie bei der früheren Lehrerin rasch klar wird.
Zum Ehrgeiz von Sabine Braun zählt, unbekannte Autoren zu Ruhm zu verhelfen. Und deshalb bestellte sie eine mannshohe Palette mit dem Roman „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ des französischen Schriftsteller Joel Dicker, um ihm von Möhringen aus den deutschen Durchbruch zu verschaffen. „Dieses Buch kann Ehen zerstören“, warnt sie. Denn wer erst mal seine Nase in diesen 700-seitigen Schmöker stecke, in ihren „Pegaseller“, habe keine Zeit mehr für den Partner oder die Partnerin. Und dann fängt Sabine Braun so lebhaft damit an, den Inhalt zu erzählen, dass nach wenigen Minuten der zufällig mit uns anwesende Volker Hühn, der frühere Chef des Theiss-Verlags, sich die Ohren zuhält, um sich die Spannung zu erhalten. „Ich kauf’s, ich kauf’s!“, ruft er. Dies tun Manu und ich auch. Im Internet wären wir nie darauf gestoßen. Herr Hühn macht sich sofort unseren Button ans Hemd, auf dem steht „Ich bin ein Buchhandlungsretter.“
Buchhändler sind nicht nur Entertainer – sie sind auch Therapeuten. Beate Hiller vom Buch im Süden berichtet von einem alten Mann, der nach dem Blättern im Buch „Stuttgart-Album“ mit historischen Fotos fast den Tränen nahe war. Er erinnerte sich an die Tage nach dem Krieg, an die Leichen, die er im zerstörten Stuttgart sah. Der alte Mann war froh, dass er in der Buchhändlerin eine Zuhörerin fand, die, tief berührt, Zeit für ihn nahm.
Nein, in den Buchhandlungen bleibt nicht die Zeit stehen. Sie sind quicklebendige und moderne Kulturbringer. Es gibt Buchhändler, die ihren Beruf so sehr lieben, dass sie Selbstausbeutung in Kauf nehmen und wenig Freizeit. Janka Pörksen, die Chefin einer mit viel Liebe sortierten Buchhandlung an der Schwabstraße im Westen, arbeitet zwölf Stunden am Tag, samstags sowieso, und für sonntags organisiert sie manchmal noch Lesungen.
Es reicht nicht mehr, einfach nur Bücher anzubieten, sagt auch Martin Weißhaar, Filialleiter von Osiander an der Nadlerstraße. Er lädt seine Kunden am Abend zu einem Glas Wein ein und stellt seine Lieblingsbücher vor. Sein Haus, das bis aufs Jahr 1596 zurückgeht, setzt weiterhin auf die haptischen Reize eines Buchs, die im Internet untergehen. Osiander will in Stuttgart zwei weitere Filialen im Gerberviertel und im Milaneo eröffnen. „Die Läden dürfen nicht zu groß sein“, sagt er, „die Beratung dabei ist ganz wichtig.“ Die persönlichen Empfehlungen, die Chefin Susanne Martin und ihre Kolleginnen in der Schiller Buchhandlungen in Vaihingen handschriftlich verfassen und in die Bücher stecken, kommen sehr gut an.
Hilft diese Leidenschaft und das Fachwissen, die Online-Gefahr zurückzudrängen? Früher, sagt Sylvia Sambo von der Heidehof Buchhandlung an der Gerokstraße, kamen die Schüler, um Schulbücher zu bestellen. Heutzutage tun sie das nur noch übers Netz. „Wir brauchen Buchhandlungsretter“, sagt sie und freut sich über die Aktion des Stuttgart-Albums, das zum Kauf in Buchhandlungen aufruft.
Es mag bequem sein, online Bücher zu bestellen. Doch wer nicht mehr in Buchläden geht, verpasst viel. Dies hat unsere Rundfahrt gezeigt. Noch sind viele Wohlfühlorte geöffnet. Liebe Leserinnen und Leser, schaut dort mal wieder zum Staunen und Stöbern vorbei! Und wer nicht ohne Internet auskommt: Man kann auch bei kleinen Buchläden per online bestellen und ihnen damit helfen.